Allerheiligen: Trauerarbeit beim Urnenbau – Friedhofswesen im Umbruch

Ein geliebter Mensch stirbt. Immer mehr Angehörige entscheiden sich für die Beisetzung in einer Urne. Die Herstellung kann zum ersten Schritt für den Umgang mit dem Todesfall werden.

Eine alte Frau aus dem Ruhrgebiet, die ihre Heimat liebte, ist gestorben. Ihr Sohn und ihr Enkel kommen zu Jessica Toliver nach Schwerte und modellieren mit der Künstlerin zusammen eine Urne – aus Papier, Hafenwasser, Erde und gemahlener Kohle einer alten Zechensiedlung. „Heimaterde der Toten“, sagt Toliver.

Das ist körperlich durchaus anstrengend und dauert Stunden – aber die langwierige Arbeit mit Material aus der Alltagswelt der Toten ist für die Angehörigen der erste Schritt zur Bewältigung der Trauer. „Hier stehen große Männer im Atelier vor mir“, erzählt sie, „und sie haben Tränen in den Augen“.

80 Prozent verbrannt und in der Urne beigesetzt

Die Künstlerin hat im Mai dieses Jahres ein Start-up für den Bau individueller Urnen gegründet – eine von vielen Neugründungen in der Bestattungsbranche. „Unsere Branche ist in einem dramatischen Wandel“, sagt der Geschäftsführer des Bestatterverbandes NRW, Christian Jäger.

2001 hätten sich noch rund 70 Prozent der Menschen im Bundesland in einem traditionellen Sarggrab bestatten lassen, heute würden fast 80 Prozent der Toten verbrannt und in der Regel in Urnen bestattet. Gut 220.000 Menschen sind laut Statistischen Landesamt im vergangenen Jahr in NRW gestorben. 

Kunden wollen moderne Urnen

Immer mehr Kunden seien dabei mit traditionellen Standard-Urnen unzufrieden und wollten ihren eigenen Geschmack stärker einbringen, sagt die Sprecherin des Bundesverbandes Bestattungsbedarf, Carolin Oberheide. Alternativprodukte neuer Anbieter seien designt und durchweg „bio“ aus Holz, Papier oder Pflanzen-Verbundstoffen. Manche sähen bewusst „un-urnig“ aus, sagt Oberheide – wie eine Lampe, ein Papierkorb oder eine kleine Kommode, die von Angehörigen bemalt, beklebt oder verziert werden kann.

Urne im Wohnzimmer und Asche-Diamant

Reformer wie die Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas gehen noch weiter und fordern eine komplette Aufhebung oder Lockerung des Friedhofszwangs und die Möglichkeit, Urnen mit der Asche der Toten zu Hause aufzubewahren und einen geringen Ascheanteil für Schmuck- oder Erinnerungsstücke abzuteilen. Schließlich lebten in einer mobilen Gesellschaft immer weniger Menschen im Heimatort der Familie, argumentieren sie. Es falle so immer schwerer, Erd- oder Urnengräber zu besuchen, geschweige denn regelmäßig zu pflegen.

Laut einer Forsa-Studie im Aeternitas-Auftrag vom Sommer mit gut 1.000 Befragten wünschen sich nur noch elf Prozent der Menschen eine klassische Sarg-Grabstätte auf einem Friedhof. 24 Prozent der Befragten hätten sich dagegen für die Beisetzung in einem Bestattungswald ausgesprochen, 14 Prozent für eine Verstreuung der Asche in der freien Natur und weitere 10 Prozent für die Aufbewahrung zu Hause oder im Garten.

NRW plant keine Änderungen des Bestattungsrechts 

Im benachbarten Rheinland-Pfalz verabschiedete der Landtag ein Gesetz, das eine Ascheteilung zur Herstellung von Schmuckstücken ebenso erlaubt, wie eine Aufbewahrung von Urnen zu Hause oder die Bestattung in Flüssen – falls der Verstorbene das zu Lebzeiten schriftlich festgelegt hat. 

In Nordrhein-Westfalen seien solche Änderungen nicht geplant, sagt ein Sprecher des zuständigen Sozialministeriums. Es gebe aber durchaus Spielraum – so könnten Angehörige unter bestimmten Voraussetzungen Asche von Toten eben doch im Garten vergraben oder verstreuen, wenn dieser Ort dauerhaft öffentlich zugänglich sei und dies auch im Grundbuch eingetragen werde.

Urnenbau als „gemeinsame Abschiedsreise“

Trost bietet daneben die Kunst: Bei der „Heimaterde“-Urne der Schwerter Künstlerin Toliver haben Sohn und Enkel der Toten Familienfotos ausgesucht und auf der Urne angebracht. „Der Urnen-Workshop war ihre gemeinsame Abschiedsreise“, sagt die Künstlerin.