Der radikal-libertäre Javier Milei hat die Zwischenwahlen in Argentinien überraschend klar gewonnen. Die Opposition hatte kaum ein Gegenangebot zu seinem Kahlschlag-Kurs.
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Als am Sonntagabend die ersten Ergebnisse der Kongresswahl auf den Handys der Menschen vor dem Hotel Libertador auftauchen, macht sich im Herzen der Hauptstadt Freude breit. In der kleinen Menge vor der Wahlnachtszentrale von Präsident Javier Milei reckt ein Mädchen eine violette Papp-Kettensäge in die Höhe, eine Gruppe junger Männer hüpft euphorisch auf und ab; „Peluuuca, Peluuuca“, rufen sie in Richtung des Eingangs: Perücke, Perücke. Das ist einer der Spitznamen des libertären Staatschefs, den ihm dessen Anhänger wegen der auffälligen Frisur gegeben haben.
„Ich bin glücklich, habe viel Hoffnung“, sagt eine ältere Frau, die dem Treiben zuschaut. „Die jungen Leute haben sich geändert. Wir brauchen den Wandel.“ Die harten Sparmaßnahmen sollen weitergehen, weitere grundlegende Reformen umgesetzt werden. Dieses Votum haben die Argentinier bei ihrer Kongresswahl abgegeben und die Partei ihres Präsidenten Javier Milei zu einem überraschend deutlichen Sieg getragen. Die Abgeordneten von La Libertad Avanza, „die Freiheit schreitet voran“, erhielt über 40 Prozent der Stimmen, die Opposition der Peronisten rund 32 Prozent.
„Wir haben die Weggabelung hinter uns gelassen“, tönt Milei unter Jubel von einem riesigen Bildschirm: „Heute beginnt die Konstruktion des großen Argentiniens.“ Während die Menschen den Erfolg feiern, drücken sich Autos, manchmal auch Linienbusse hupend an der Menge vorbei. Milei kündigte im Wahlkampf eine Arbeitsmarktreform an, mit der die Regierung unter anderem branchenweite Gewerkschaftstarifverträge beenden sowie Arbeitstage bis 12 Stunden erlauben möchte. Auch eine Steuerreform ist geplant.
Javier Milei feiert symbolischen Erfolg im Herzen des Peronismus
Das Ziel des Präsidenten bei der Kongresswahl war eine Sperrminorität, um zumindest mit Dekreten regieren zu können. Der Erfolg geht darüber hinaus und verschafft ihm sogar die Aussicht, für seine Projekte eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus heraushandeln zu können. Die junge Partei verfügte dort und im Senat bislang nur über eine kleine Minderheit. Exemplarisch und höchst symbolisch ist der Erfolg des LLA-Kandidaten in der Provinz Buenos Aires, der bevölkerungsreichsten des Landes; meist eine Hochburg der Opposition und eine Art Herzkammer des Peronismus. In der dortigen Regionalwahl im September hatte Milei noch eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen.
Die wichtigsten Themen bei der Kongresswahl waren Korruption, Arbeitslosigkeit, sowie die Inflation und Preise. Gefühlte wirtschaftliche Stabilität ist äußerst wichtig in Argentinien – die Traumata von Staatspleiten und insbesondere Pfändungen von Privatvermögen während der Krise 2001 sitzen tief. Milei wird als immenser Erfolg angerechnet, die Geldentwertung auf 30 Prozent verringert zu haben, von zuvor über 200 Prozent unter den bis Ende 2023 regierenden Peronisten.
Auch verschiedene Skandale, rund 300.000 verlorene Arbeitsplätze, empfindliche Ausgabenkürzungen und versteckte Armut konnten Mileis Partei am Ende nicht entscheidend schaden. Trotz sinkender Zustimmungswerte für den Präsidenten, trotz in Umfragen mehrheitlich geäußertem Pessimismus über die Zukunftsaussichten Argentiniens sowie der Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Situation in diesem Jahr.
„Eine Stimme für (uns) bremst Milei“, warben die oppositionellen Peronisten in der Hauptstadt um Wähler. Einen alternativen Vorschlag, wohin sich Argentinien statt Mileis Kettensägen-Politik entwickeln soll, blieben sie schuldig. Personell haben sie sich seit der Wahlniederlage vor zwei Jahren auch kaum verändert. Trotz Wahlpflicht gaben nur 66 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab. Die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1942 könnte darauf hindeuten, dass allgemeine Politikverdrossenheit herrscht.
Allianz mit Trump
Die Nerven der argentinischen Regierung dürfte das Wahlergebnis deutlich beruhigen, hatte doch US-Präsident Donald Trump vor dem Urnengang gedroht, Milei die finanzielle Unterstützung der Vereinigten Staaten zu entziehen, falls er nicht gewinnt. Die Folgen wären kaum absehbar. Um die Inflation zu bremsen und Importe zu ermöglichen, ist Argentinien derzeit auf die USA angewiesen. Das Weiße Haus intervenierte im Vorfeld der Wahl mehrmals auf dem Währungsmarkt, um den Peso und damit Milei zu stützen, und gewährte dafür einen Swap von 20 Milliarden Dollar.
Es ist unklar, was genau die Gegenleistung ist. US-Finanzminister Scott Bessent gab an, man wolle den Einfluss Chinas in Südamerika verringern. Laut Medienberichten könnte es dem Weißen Haus auch um Zugang zu Uran sowie seltenen Erden in Argentinien gehen. Zudem haben mehrere US-Unternehmen in den argentinischen Finanzmarkt investiert, darunter auch aus Bessents persönlichem Umfeld.
Zusätzlich spricht Mileis Regierung derzeit mit mehreren US-Banken über einen privaten Gesamtkredit in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Noch am Freitag war der Chef von JP Morgan Chase mit einem Team zu Verhandlungen in Buenos Aires. Argentiniens Wirtschaftsminister Luis Caputo ist Ex-Banker des Unternehmens.
Mileis Regierung hat mit dem Wahlsieg zumindest vorerst den Kopf aus der Schlinge gezogen. An den Finanzmärkten wird nun mit Kursgewinnen bei argentinischen Anleihen und Aktien gerechnet, da Milei seine Reformen weiter vorantreiben kann. Viele Analysten erwarten auch eine Abwertung des Pesos, da sie ihn gegenüber dem Dollar für überbewertet halten. Mit ihrer Wahl haben die Argentinier der „Perücke“ die zwei Jahre bis zur nächsten Präsidentschaftswahl gegeben, um die Kettensäge weiter aufheulen zu lassen.









