Personalmangel: Ex-NVA-Soldaten als Reservisten – was ist dran an der Idee?

Im Ernstfall sollten auch frühere DDR-Soldaten Deutschland gegen Angriffe verteidigen, so lautet der Vorschlag aus der CDU. Was dafür und was dagegen spricht.

„Auf die Idee hätten sie mal 35 Jahre früher kommen sollen“, sagt Harald Neubauer, einst Oberstleutnant, heute stellvertretender Vorsitzender im Verband zur Pflege der Tradition der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR e.V. 

Die Idee, die der Oberstleutnant a.D. meint, hat Unionsfraktionsvize Sepp Müller gerade im stern vorgebracht: Wegen der Personalnot bei der Bundeswehr sollten im Ernstfall auch frühere DDR-Soldaten als Reservisten dienen können. „Es wird Zeit, auf die Soldatinnen und Soldaten der NVA zurückzugreifen, die sich freiwillig zum Schutz unserer Freiheit melden“, sagte Müller, der selbst aus Sachsen-Anhalt stammt. Zuvor hatte bereits der Linken-Politiker Dietmar Bartsch dafür plädiert, ehemalige Soldaten der NVA in die Bundeswehr zu integrieren. Rechtlich ist dies in der Regel bisher nicht möglich.

Über 51.000 Reservisten verfügt die Bundeswehr. Gebraucht werden 200.000

Laut eigenen Planungen benötigt die Bundeswehr etwa 200.000 einsatzbereite Reservisten. In sogenannten Heimatschutzregimentern sollen sie im Krisen- und Verteidigungsfall dafür sorgen, dass Truppen schnell und sicher zu ihrem Einsatzort kommen und die Infrastruktur geschützt wird. Aktuell stünden der Bundeswehr aber nur rund 51.000 Reservisten zur Verfügung. 

Von den rund 170.000 aktiven NVA-Soldaten wurde zur Wiedervereinigung zwar etwa die Hälfte vorläufig übernommen, nach genauerer Überprüfung fand sich nur für rund 18.000 Soldaten eine „Weiterverwendung“ in der Bundeswehr. Alle anderen wurden ausgemustert und nicht in die Reserve der Bundeswehr aufgenommen. Schätzungen zufolge dürften noch rund 100.000 von ihnen unter 65 Jahren alt sein. 

Können also ausgerechnet Ex-DDR-Soldaten helfen, das Personalproblem der Bundeswehr zu lösen?

„Gedient in fremden Streitkräften“

„Wir können es gar nicht, das verbietet das Gesetz. Eingestuft als ‚gedient in fremden Streitkräften‘ durften wir ja nicht Reservisten der Bundeswehr werden“, sagt Ex-NVA-Mann Neubauer. „Gedient in fremden Streitkräften“, so würde die Bundesrepublik bis heute ihn und alle anderen früheren Angehörigen der Ost-Armee betrachten, die nicht übernommen wurden. Vereidigt auf die Fahne der DDR hatten sie „an der Seite der Sowjetarmee“ den Frieden sichern sollen, nun galten sie wegen ihrer Systemnähe selbst als politisch unzuverlässig und wurden aussortiert – eine Wunde, die auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht bei allen verheilt ist. 

Die SPD reagiert verhalten auf den Vorstoß. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Siemtje Möller, sagte dem stern: „Es ist grundsätzlich gut, wenn sich alle darüber Gedanken machen, wie wir den Ausbau der Reserve voranbringen.“ Sie empfiehlt dennoch, den Augenmerk eher auf aktuelle und künftige Wehrdienstleistende zu richten. „Mit Freude und Spannung“ sehe sie darum den Vorschlägen des Ministeriums zur Stärkung der Reserve entgegen, so Möller, die vor Kurzem selbst parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium war.

Deutliche Kritik an der Idee gab es dagegen von den Grünen. Der Vorschlag „offenbart, wie wenig die Union die aktuellen Herausforderungen bei der Truppe kennt“, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, dem stern. „Das Problem ist gerade nicht, dass man zu wenig Leute hat, die in die Reserve wollen und man deshalb nach Gruppen suchen muss, die man noch ansprechen könnte, sondern dass die Bundeswehr nicht genügend Kapazitäten hat, die vielen Interessierten – gedient und ungedient – zu absorbieren“, so die Grünen-Politikerin weiter.

Auch sonst überwiegt in Berlin unter Fachleuten die Skepsis, was die Chancen für eine Reaktivierung früherer NVA-Soldaten betrifft. Rechtlich spreche dagegen, so ist zu hören, dass der Einigungsvertrag nachträglich geändert werden müsste. Darin sei gesetzlich geregelt, dass niemand Reservist werden könne, der oder die nicht in die Bundeswehr übernommen wurde. 

35 Jahre a.D., kein Training, keine Ahnung

Zudem hätten die Betreffenden mindestens 35 Jahre lang keinen aktiven Dienst ausgeübt, sie hätten weder trainiert noch Kenntnisse über moderne Waffensysteme erlangt. Und selbst wenn sie zum Ende der DDR erst 18 Jahre alt gewesen seien, wären sie nun auch schon 53. Da der Reservistendienst für alle mit 65 Jahre endet, stünde demnach selbst den jüngsten Ex-NVA-Soldaten keine sonderlich lange Reservisten-Karriere bevor. Fraglich, ob der große Aufwand von der Nachschulung bis zur Neu-Vereidigung auf das Grundgesetz für diese potenziell sehr kleine Gruppe überhaupt lohnt.  

Noch fraglicher ist, wie viele überhaupt Lust darauf hätten, nach all den Jahren doch noch bei der Bundeswehr mitmachen zu dürfen. 

Möglicherweise ist ein NVA-Traditionsverband kein ganz objektiver Gradmesser für die Stimmung unter zigtausenden früheren DDR-Soldaten und Ex-Wehrdienstleistenden, fragen muss man Neubauer das schon: Könnte er sich denn vorstellen, heute noch Reservist zu werden, wenn er es endlich dürfte? „Das“, sagt Oberstleutnant a.D.,“ ist noch mal eine ganz andere Frage.“ In seinem Verband kenne er jedenfalls niemanden.