Energie: Tennet-Chef: Immer mehr Herausforderungen für Stromnetz

Deutschland hat eines der sichersten Stromnetze weltweit – sagt der Chef des Stromnetzbetreibers Tennet. Das soll auch so bleiben. Was dafür nötig ist.

Der Netzbetreiber Tennet sieht zunehmende Herausforderungen für ein sicheres Stromnetz in Deutschland. „Versorgungssicherheit ist kein Selbstläufer. Wir müssen eine Menge dafür tun“, sagte Tim Meyerjürgens, Vorstandschef von Tennet Deutschland, der Deutschen Presse-Agentur. 

Deutschland betreibt heute eines der sichersten Stromnetze weltweit. Das ist ein hohes Gut und extrem wichtig für unseren Wirtschaftsstandort“, betonte Meyerjürgens. „Wir müssen aber jetzt handeln, damit das so bleibt. Ich habe keine Befürchtung, dass morgen die Lichter ausgehen, aber wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit wir nach 2030 das Netz immer noch vernünftig betreiben können.“

Die Aussagen von Meyerjürgens kommen vor einem bald und mit Spannung erwarteten Bericht von Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) zum Stand der Energiewende. Reiche hatte bereits deutlich gemacht, in der Energiepolitik den Fokus stärker auf Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit zu setzen.

„Dringend Entscheidungen“ für neue Kraftwerke nötig

Der Tennet-Chef betonte die Notwendigkeit des Baus neuer Gaskraftwerke. Wenn 2030 beziehungsweise 2038 der Kohleausstieg wirklich umgesetzt werden solle, sei für die gesicherte Leistung Ersatz im System notwendig. „Wir brauchen dringend Entscheidungen.“

Neue Gaskraftwerke sollen künftig als Backups einspringen, wenn der Strombedarf durch erneuerbare Energien nicht zu decken ist – in „Dunkelflauten“, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Geplant ist seit längerem eine staatliche Förderung, die Milliarden kosten dürfte. Reiche will bis Ende des Jahres erste Ausschreibungen starten. 

Immer mehr Eingriffe ins Netz

Meyerjürgens sagte, es treibe ihn um, wie die Systemsicherheit auf Dauer gewährleistet werden könne. „Das wird immer herausfordernder. Wir haben vor 20 Jahren ein- bis zweimal im Jahr korrigierend ins Stromnetz eingreifen müssen, damit wir das Ganze stabil halten. Heute haben wir allein in unserem Netzgebiet rund 2.500 Eingriffe im Jahr.“ Das seien sieben am Tag. 

„Das zeigt, wie herausfordernd es geworden ist, das Energiesystem stabil zu halten.“ Ausgleichsmaßnahmen gegen Engpässe im Stromnetz kosteten sehr viel Geld, was am Ende über die Netzentgelte die Verbraucher belaste. „Wir brauchen daher dringend Instrumente an der Hand, mit denen wir auch in Zukunft das Stromnetz vernünftig und sicher betreiben können.“

Der Tennet-Manager sagte: „Wir transportieren große Mengen Strom, oft von Nord nach Süd, weil wir viel Erneuerbare im Norden haben und die Last im Süden. Sie können sich das Stromnetz wie eine Autobahn vorstellen: Die hat eine bestimmte Kapazität. Wenn Sie zu viele Autos draufschicken, gibt es Stau. Um diese „Staus“ aufzulösen, greifen wir in die Erzeugung ein. Das heißt, wir weisen Erneuerbare im Norden an, ihre Leistung zu reduzieren und das müssen wir kompensieren, das kostet Geld. Aber dann fehlt diese Leistung im Süden. Und das heißt, ich muss im Süden einen Ersatz bereitstellen und muss auch diese Leistung bezahlen, damit die Versorgung zuverlässig bleibt und das System im Gleichgewicht.“

Anreize für Drosselung?

Bei Solaranlagen seien Eingriffe nur bedingt möglich, weil viele Kleinanlagen nicht direkt ansteuerbar seien. Etwa die Hälfte der installierten Photovoltaik (PV)-Leistung, etwa 50 bis 60 Gigawatt, sei nicht regelbar. „Das übersteigt zeitweise unseren Lastbedarf. Dann kann die Systemsicherheit wirklich unter Druck geraten.“ Die Bundesregierung habe Anfang des Jahres reagiert und ein Gesetz erlassen, das für Neuanlagen die Schwelle, ab der sie steuerbar sein müssen, deutlich nach unten setzt. Das sei enorm wichtig.

„Wir müssen insgesamt die Systemdienlichkeit in den Vordergrund stellen“, sagte Meyerjürgens. Das bedeutet, dass die Leistung von PV-Anlagen gedrosselt werden könnte zum Zwecke der Systemsicherheit. 

„In den Niederlanden gibt es zum Beispiel ein System, wo man Netzkunden Teile ihres Netzentgelts erlässt, wenn die Betreiber bereit sind, den Leistungsfluss ihrer Anlagen zeitweise zu verändern“, sagte der Manager. „So wird ein Incentive gesetzt, dass der Netzkunde eine Flexibilität erlaubt, die vielleicht nicht immer ideal für ihn ist, aber dafür kriegt er auch eine deutliche Belohnung aufseiten der Kosten. Solche Instrumente brauchen wir, um zu flexibilisieren. Die brauchen wir bei den Speichern, die brauchen wir auf der Erzeugungsseite, aber auch auf der Lastseite.“