Meinung: Die Debatte über das Bürgergeld zeigt, wie verkommen Deutschland ist

Empfängern von Bürgergeld geht es zu gut, meint der Kanzler. Ein Großteil der Deutschen stimmt ihm zu. Ist das nur Unwissen oder einfach soziale Kälte?

Bundeskanzler Friedrich Merz will beim Bürgergeld sparen. „Nach wie vor bin ich davon fest überzeugt, dass sich zehn Prozent in diesem System einsparen lassen müssen“, sagte er diese Woche in einem Interview.

Merz spricht Deutschland damit aus der Seele. Laut einer aktuellen ARD-Umfrage meinen 86 Prozent der Wahlberechtigten, dass härtere Sanktionen beim Bürgergeld ein Schritt in die richtige Richtung seien.

Sozialhilfeempfängern das Leben ein bisschen schwerer zu machen, ist gerade in Mode. Sinnvoll ist es nicht.

Debatte um Bürgergeld ist Bullshit

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas nannte die aktuelle Debatte um das deutsche Sozialsystem zuletzt gar „Bullshit“. „Jetzt kommt so ein Zungenschlag rein, dass die Wirtschaft nicht läuft, weil die Sozialsysteme zu teuer sind“, sagte sie dem stern.

Da habe sie gegenhalten müssen, sagt Bas. Und sie hat recht. Die Show, die Merz gerade abzieht und die ein Großteil der Bevölkerung abfeiert, zeigt, wie verkommen Deutschland ist. Menschen ohne Job wird missgönnt, dass sie arbeitslos sind. Ein Zustand, der für viele Betroffene große Scham bedeutet und die gesellschaftliche Teilhabe massiv erschwert.

Alleinstehende bekommen 563 Euro im Monat. Auf den Tag gerechnet sind das 18,16 Euro. Für Essen, Kleidung, Strom, Internet, Freizeit. Zwar wird ihre Miete übernommen, ein gutes Leben ist davon aber nicht möglich. Gut so, scheinen viele Deutsche zu denken. Wer Bürgergeld bezieht, soll gefälligst leiden.

Die Debatte zeigt auch, wie schlecht informiert die Deutschen sind, wenn es um die großen gesellschaftlichen Fragen geht. 2024 betrugen die Kosten für das deutsche Sozialsystem rund 1,35 Billionen Euro. Das sind etwa 30 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt). Das erscheint viel und ist es auch: Im europäischen Vergleich stehen wir damit hinter Frankreich und Finnland auf Platz 3.

Fürs Bürgergeld geht aber nur ein Bruchteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) drauf: 4,2 Prozent bzw. 56,5 Milliarden Euro lassen wir uns die Grundsicherung kosten. Für die Rentenversicherung geben wir 29,1 Prozent (391,5 Milliarden Euro) und für die Krankenversicherung 25,4 Prozent (341,7 Milliarden Euro) des BIP aus.

Warum nicht hier kürzen? Das will die Regierung der Bevölkerung offenbar nicht zumuten.

Merz ist ein Heuchler

Für eine andere Maßnahme gäbe es Zustimmung: die Anhebung der Steuern auf hohe Einkommen. Zwei Drittel (65 Prozent) der Deutschen halten eine solche Anhebung der Steuern für das richtig Mittel, darunter auch zwei Drittel der Unions-Anhänger (66 Prozent).

Eine solche Maßnahme wäre sozialverträglich. Allerdings stellt sich die Union strikt gegen Steuererhöhungen. Merz‘ unterkomplexe Sicht der Dinge: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“

Auch diese Aussage ist Blödsinn. Zwar haben sich die Sozialausgaben in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Die Sozialleistungsquote (das Verhältnis von Sozialausgaben zum BIP) stieg nur minimal an: von 28,6 Prozent im Jahr 2005 auf heute 30 Prozent.

Zwar wird es durch den demografischen Wandel tatsächlich schwieriger, den Sozialstaat zu finanzieren. Für das Problem sollten aber nicht die Bürgergeldempfänger herhalten. Weder ideologisch noch finanziell.