Das Desaster rund um die PKW-Maut holt den verantwortlichen Verkehrsminister ein: Gegen Andreas Scheuer wird in Berlin Anklage erhoben. So kommentiert die Presse die Entscheidung.
Der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) muss sich wegen einer Aussage zur gescheiterten Autobahnmaut vor Gericht verantworten. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft erhob laut Mitteilung vom Mittwoch Anklage gegen den CSU-Politiker wegen einer mutmaßlichen Falschaussage im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Scheuer sagte der „Bild“-Zeitung, er werde sich „gegen diesen unbegründeten Vorwurf (…) mit aller Kraft zur Wehr setzen und meine Unschuld verteidigen“.
Scheuers Name ist eng mit dem Desaster bei der Pkw-Maut verbunden. Bei den in Rede stehenden Aussagen vor dem Ausschuss geht es um die Frage, ob Verträge mit einer Maut-Firma unterzeichnet worden waren, obwohl die Gefahr bestand, dass das Projekt vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestoppt wird.
So kommentieren Medien die Vorwürfe gegen Andreas Scheuer
„Märkische Oderzeitung“: „Für die Entscheidung der Berliner Staatsanwaltschaft hat das zwar hoffentlich keine Rolle gespielt, aber man kann schon festhalten: Für die seit Langem aufgebrachte Volksseele ist es eine gute Nachricht, dass Andreas Scheuer jetzt angeklagt wird. Das bei immer mehr Menschen entstandene, eher abstrakte Gefühl, dass mächtige und reiche Menschen so behandelt würden, als stünden sie über dem Gesetz, wird durch diese Anklage natürlich nicht widerlegt. Aber sie könnte zumindest zu einem Gegenbeispiel werden. Auch wenn es nicht um die Maut geht, für viele sicherlich das wahre Vergehen. Es muss Konsequenzen haben, wenn vor einem Untersuchungsausschuss gelogen wird. Der Nachweis einer solchen Falschaussage ist allerdings alles andere als trivial. Auch die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Scheuer müssen erst einmal vor Gericht Bestand haben.“
„Die Rheinpfalz“: „Scheuer erklärt die Anklage kurzerhand für politisch motiviert und spricht von einem Sommerloch-Manöver. Ein ehemaliger Repräsentant dieses Staates, der die Justiz derart diskreditiert, richtet nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Amt, das er einst bekleidete, schweren Schaden an. Wer so spricht, erschüttert das Fundament, auf dem der Rechtsstaat steht. Die politische Katastrophe der Maut wird dadurch nicht kleiner. Sie wird nur ergänzt durch ein zweites Debakel: einen beispiellosen Angriff eines Ex-Regierungsmitglieds auf die Justiz. Was immer die Gerichte entscheiden werden: Der Vertrauensverlust ist längst da.“
„Nürnberger Zeitung“: „Warum die Justiz so lange braucht, um die Wahrheit oder Unwahrheit eines einzigen Satzes zu überprüfen, bleibt unerfindlich. Es besteht der Verdacht, dass nicht nur rein sachliche Gründe den Zeitpunkt der Anklageerhebung bestimmt haben. Um nicht missverstanden zu werden: Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss anzulügen, ist dasselbe wie vor einem Gericht bewusst wahrheitswidrig auszusagen. Durchgehen lassen kann man das nicht – aber erwarten, dass die politisch weisungsgebundene Staatsanwaltschaft dort, wo es möglich ist, zeitnah arbeitet.“
„Reutlinger General-Anzeiger“: „Dobrindt gilt als der Vordenker der Ausländer-Maut, die sein Nachfolger Andreas Scheuer durchsetzte. Als Innenminister ignorierte Dobrindt auch ein Urteil zur Grenzabweisung von Asylsuchenden – frei nach dem Motto ‚Legal? Illegal? Scheißegal!‘ Der Eindruck, den diese Haltung hinterlässt, ist fatal. Wenn Scheuer mit seiner Argumentation – wie auch schon Olaf Scholz in der Cum-Ex-Affäre – durchkommt, kann sich künftig kann jeder Straftäter darauf berufen, im entscheidenden Moment einen Gedächtnisverlust gehabt zu haben.“
„Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung“: „Der Steuerzahler ist auf 243 Millionen Euro Schadensersatz an die Betreiberfirma sitzen geblieben, die dem CSU-Mann angeboten haben will, die Verträge erst nach einem Urteil zu unterzeichnen. Das jedoch entspreche nicht seiner Erinnerung, hat Scheuer vor dem Untersuchungsausschuss angegeben, und daraus will ihm die Berliner Staatsanwaltschaft nun einen Strick drehen. (…) Da Aussage gegen Aussage steht und über das fragliche Treffen Scheuers mit den Managern kein Protokoll geführt wurde, betreten die Staatsanwälte dünnes Eis. Dennoch ist zweifelhaft, dass sich Scheuer mit dem brachialen Vorwurf einer politisch motivierten Anklage einen Gefallen tut.“
„Rhein-Neckar-Zeitung“: „Die (…) Pkw-Maut wird ganz sicher kommen. Nur eben nicht 2020 – zeitig vor dem vorletzten Bundestagswahlkampf. Da hat sich Andi Scheuer ganz gewaltig verrechnet. Wieder zu Ungunsten der Steuerzahler, die dafür eine Viertelmilliarde Euro hinlegen müssen. Wie so oft fällt (…) die politische Aufarbeitung des Missmanagements unbefriedigend aus. Gehen Politiker ins finanzielle Risiko, muss der Staat für die Kosten aufkommen. Höchststrafe ist in aller Regel die Nicht-Wiederwahl. Daran wird auch ein möglicher Prozess gegen den früheren Verkehrsminister und seinen Staatssekretär nichts ändern. Dennoch ist die jetzt erhobene Anklage geeignet, ein allgemeines Gerechtigkeitsempfinden herzustellen. Das demonstrative Nicht-Erinnern hatte schon Helmut Kohl gerettet, zumindest für eine Weile Olaf Scholz. Gegenüber lauteren Bürgern bleibt es dennoch eine Unverschämtheit.“