DFB-Frauen: Lea Schüller und das Gespür für große Momente

Lea Schüller ist zur Stelle, wenn es darum geht, eine Partie zu entscheiden. Ob die Deutschen bei der EM weit kommen, hängt besonders von der Stürmerin ab.

Für gute Laune bei den deutschen Fußballerinnen sind nicht nur das schöne Wetter, das herrliche Panorama und das piekfeine Teamhotel in Zürich verantwortlich, sondern auch Julius Balsmeier. Damit auf dem Trainingsplatz im Sportzentrum Buchlern gelacht wird, ließ sich Balsmeier zuletzt einiges einfallen. 

Der Fitnesstrainer, der schon mal mit strenger Stimme den Spielerinnen Beine macht, hatte vor dem dritten Gruppenspiel gegen Schweden (Samstag 21 Uhr, ZDF) das Team in Gruppen aufgeteilt, die am Ende einer Übung alle nur auf einem Bein stehen, sich anfassen und noch eine Spielerin Huckepack nehmen sollten. Lustige Menschenknäuel bildeten sich – und die langsamste Gruppe musste zur Strafe noch Liegestütz machen.

Die Botschaft des Aufwärmprogramms: Es geht nur gemeinsam, auch wenn nicht immer alles prächtig aussieht. Diese Europameisterschaft ist bislang noch keine fußballerische Offenbarung der deutschen Mannschaft – das ist ein großer Unterschied zu jenem Turnier vor drei Jahren, als die DFB-Frauen mit einer spielerischen Glanzleistung gegen Dänemark (4:0) und einer taktischen Meisterleistung gegen Spanien (2:0) den Grundstein zu Platz zwei bei der EM in England legten.

Jetzt waren die ersten Auftritte gegen Polen (2:0) und Dänemark (2:1) eher „Mentalitätssiege“, wie auch Christian Wück sagte. Der Bundestrainer pries Wille und Leidenschaft, dies seien die Tugenden eines Nationalteams. Egal, ob Frauen oder Männer. Und dann lobte der frühere Bundesliga-Profi natürlich noch Lea Schüller. Seine Ausnahmefigur ganz vorne. In den ersten beiden Spielen phasenweise gar nicht zu sehen, aber immer da, wenn sie gebraucht wurde. Die Angreiferin vom FC Bayern erzielte jeweils den wichtigen zweiten Treffer.

Lea Schüllers Torquote ist herausragend

Und das, ohne sich dafür groß feiern zu lassen. „Ich war alleine vor dem Tor. Ich muss nur noch einschieben. Das war eine starke Teamleistung“, sagte die 27-Jährige am Dienstagabend im St. Jakob-Park von Basel über ihren 54. Länderspieltreffer im 77. DFB-Einsatz. „Lea hat eine unfassbare Quote“, lobte Sportdirektorin Nia Künzer, überdies bringe Schüller als Typ einen „großen Mehrwert“ ein. Keine, die nur auf sich schaut, sondern in erster Linie an den Mannschaftserfolg denkt.

Von einer solchen Torquote habe er als Aktiver nur träumen können, merkte Wück an. „Das macht ja eine Torjägerin aus, dass sie relativ wenig zu sehen ist und dann da ist, wenn wir sie brauchen.“ Er verhehlte auch nicht, dass er seine Mittelstürmerin gegen die Däninnen eigentlich auswechseln wollte. In der ersten Hälfte hatte Schüler keinen einzigen Ballkontakt im gegnerischen Strafraum. 

„Nur noch einschieben“: DFB-Stürmerin Schüller trifft zur 2:1-Führung gegen Dänemark
© IMAGO/Heiko Becker

„Ich glaube, sie merkt, wenn wir darüber nachdenken, sie auszuwechseln. Dann macht sie halt kurz ein Tor – und geht dann raus.“ Letztlich wusste auch Wück: Dass es auch in der Schweiz zuverlässig „schüllert“ (die Verballhornung ihres Namens in Anlehnung an den Klubheiligen Thomas Müller gefällt ihr), kann im Turnier noch wichtig werden. 

Seit der WM 2023 erzielte Schüller in 27 Ländersielen bereits 22 Treffer. Die Konstanz beim Toreschießen ist Markenzeichen der 1,73 Meter großen Angreiferin. Die größte Stärke ist ihre Vielseitigkeit: Sie trifft wahlweise mit rechts, links oder dem Kopf. Mitunter könnte ihr eine Portion mehr Durchsetzungsvermögen noch guttun.

Popp-Vergleiche? Stören sie nicht 

Der deutsche Frauenfußball hat seine größten Erfolge stets mit zuverlässigen Torgarantinnen errungen: Da war erst die Pionierin Heidi Mohr, dann kam die Legende Birgit Prinz, später Anja Mittag, Inka Grings, Célia Šašić oder Alexandra Popp. Alles Torjägerinnen mit einem prägenden Einfluss.

Popp hatte in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass Schüller etwas unter dem Radar flog. Wer sie beim Medientag in Herzogenaurach darauf ansprach, dass sie jetzt Stürmerin Nummer eins sei, bekam eine klare Antwort: „Bei der letzten EM habe ich auch von Anfang an gespielt, habe dann Corona bekommen und wir hatten zum Glück Poppi, die es gerichtet hat.“

Die ständigen Vergleiche nerven sie nicht, doch sie wehrt sich gegen eine oberflächliche Betrachtung: Tatsächlich hatte sie bereits vor drei Jahren der beim VfL Wolfsburg spielenden Stürmerin bei den DFB-Frauen sportlich den Rang abgelaufen. Im Auftaktspiel der EM 2022 gegen Dänemark stand sie in der Startelf, ehe sie im Quartier in Brentford das Corona-Virus erwischte. Erst danach war der Weg für die Popp-Festspiele auf der Insel geebnet. 

„Wir sind so unterschiedlich – für mich hat sich nichts verändert“, sagt Schüller. Aber zeichnet nicht beide eine enorme Kopfballstärke aus?  „Ich glaube, das ist unsere einzige Gemeinsamkeit.“

Schüllers Spiel lebt von Explosivität

Popp habe mit ihrer Physis, ihrer Präsenz dem Team geholfen. Machte Bälle fest – oder verwandelte entschlossen. „Ich bin eine Spielerin, die von der Schnelligkeit lebt, die in die Tiefe geht“, sagt Schüller. „Ich habe jetzt auch Variabilität gelernt.“ Und was sie auch sagen will: „Ich bin ein ganz anderer Typ.“ Eben nicht die Kapitänin, an die sich alle – inklusive der Öffentlichkeit – klammern, um Halt zu finden.

Bei der WM 2023 hatte die damalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg noch versucht, mit einer Doppelspitze zu agieren, ehe Horst Hrubesch bei Olympia die Kapitänin Popp ins zentrale defensive Mittelfeld verschob. Dass nun mit Wück erneut ein Bundestrainer das Sagen hat, der früher selbst auf ihrer Position gespielt hat, begrüßt Schüller. Extra Tipps bekomme sie deswegen aber nicht.

„Ich mag die Spielweise von Christian sehr, dass wir als Team offensiver sind“, sagt Schüller. „Wir machen viel tieferes Pressing, als wir es bei Horst getan haben. Wir lassen dem Gegner den Ball, um unsere Schnelligkeit vorne auf allen Positionen auszuspielen.“

Kaum ein Konkurrent, abgesehen von Spanien und Frankreich, verfügt über solch eine Offensivqualität wie das DFB-Team. „Wir können ein- und auswechseln wie wir wollen und wissen: Da ist Torgefahr ohne Ende“, sagt Schüller.

Sie kommt in längeren Gesprächen besser rüber als in kurzen Interviews vor der Kamera. Sie redete viele Jahre auch sehr offen über ihre Beziehung mit der Seglerin Lara Vadlau. Beide trennten sich nach viereinhalb Jahren im November 2023, was aber erst mit einiger Verspätung öffentlich wurde. Die Beziehung sei zunehmend durch die Herausforderungen ihres beruflichen Alltags belastet worden, erzählte Vadlau im Sommer 2024 im Podcast „Frühstück bei mir“ des Österreichischen Rundfunks: „Wir haben uns vielleicht zwei oder drei Tage im Monat gesehen.“ Oft sei Schüller unterwegs gewesen, wenn sie selbst nach Hause kam. Vadlau hatte sich dazu entschieden, in den Profisport als Seglerin zurückzukehren: „Sie hat gesagt, sie leidet so sehr, dass wir uns nie sehen. Immer, wenn ich die Koffer packe, sei es für sie wie eine Trennung.“ Beide zogen letztlich einen Schlussstrich, um den Fokus auf ihre sportlichen Karrieren legen.

Ihr erstes Gehalt betrug 450 Euro 

Dabei gäbe es für Schüller durchaus Optionen abseits des Fußballs. Sie hat Wirtschaftsingenieurwesen an einer Fernuni studiert, dazu Praktika absolviert. „Wirtschaftsingenieurwesen ist eben etwas ganz anderes als Sport. Zusätzlich zum Fußball auch noch Sport zu studieren, könnte ich mir nicht vorstellen“, sagte sie einmal. „Das Studium ist manchmal einfach wirklich herausfordernd.“ Ob sie in dem Beruf irgendwann mal arbeitet? In jeder Jobausschreibung stehe schließlich, dass Berufserfahrung nötig sei. Schüller: „Aber wie soll man die denn bekommen, wenn man gerade erst studiert hat – und dann auch noch Mitte 30 ist?“ Fakt ist: Auch Deutschlands beste Stürmerin hat nach der Karriere nicht ausgesorgt.

An ihr erstes Bundesliga-Gehalt erinnert sie sich noch gut: 450 Euro im Monat. Wie viele andere Nationalspielerinnen hat die aus Tönisvorst in Nordrhein-Westfalen stammende Fußballerin bei der SGS Essen angefangen. Auch Linda Dallmann, Elisa Senß oder die aktuell noch verletzte Lena Oberdorf haben von der Ausbildung in Essen-Schönebeck profitiert. 

Schüller wechselte 2020 zum FC Bayern, gewann in dieser Saison Meisterschaft und Pokal. In München steht sie noch bis 2026 unter Vertrag. Eine Verlängerung könnte bei ihren Qualitäten teuer werden – erst recht, wenn sie das Schaufenster in der Schweiz für sich nutzt. Und dass Klubkollegin Sydney Lohmann gerade ihren Wechsel zu Manchester City verkündet hat, könnte ein Fingerzeig sein, dass Topvereine aus England, Frankreich und Spanien sie längst auf dem Zettel haben.