Schwarz-Rot muss Richterwahl im Bundestag nach Eklat um SPD-Kandidatin abblasen

Eklat im Bundestag vor der Sommerpause: Wegen Vorwürfen der Union gegen eine SPD-Kandidatin hat die schwarz-rote Regierungskoalition am Freitag alle Abstimmungen über die Neubesetzung von Richterposten beim Bundesverfassungsgericht absagen müssen. Die Sozialdemokraten kritisierten den konservativen Koalitionspartner daraufhin scharf. Die Opposition sah die Koalition in einer tiefen Krise und warf ihr vor, das Ansehen von Parlament und Verfassungsgericht beschädigt zu haben.

Der Bundestag sollte am letzten Sitzungstag vor der parlamentarischen Sommerpause eigentlich über die Neubesetzung von drei Stellen beim Bundesverfassungsgericht befinden. Die Unionsfraktion forderte aber kurzfristig die Absetzung der Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und verwies auf Plagiatsvorwürfe. Gegen die Juristin hatte es schon zuvor massive Vorbehalte aus den Reihen von CDU/CSU unter anderem wegen ihrer liberalen Haltung beim Thema Abtreibung gegeben.

Auf Antrag der SPD wurde daraufhin die Plenarsitzung für eine Sondersitzung der Fraktion unterbrochen. Nach anderthalbstündigen Krisengesprächen brachten Union und SPD einen gemeinsamen Antrag ein, um alle drei für Freitag geplanten Richterwahlen von der Tagesordnung zu nehmen. 

Beschlossen wurde dies dann auch mit den Stimmen von Grünen und Linken. Die AfD votierte gegen die Verschiebung. Damit wurden auch der Unionskandidat Günter Spinner und die weitere SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold nicht zu Verfassungsrichtern gewählt.

Die SPD im Bundestag machte die Union für den Eklat verantwortlich. Der erste parlamentarische Geschäftsführer, Dirk Wiese (SPD) nannte die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf „haltlos“ und sprach von „einer Hetzkampagne“. Eigentliches Problem sei, „dass die Unionsführung die nötige Mehrheit in ihren eigenen Reihen nicht sicherstellen konnte“.

Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) forderte nach der gescheiterten Richterwahl „Führung und Verantwortung“ in der Koalition. Beides dürfe nicht nur „in Sonntagsreden“ angekündigt werden, sagte er im Bundestagsplenum. Der SPD-Chef nannte dabei aber nicht explizit Kanzler Friedrich Merz oder Unionsfraktionschef Jens Spahn (beide CDU).

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) zeigte sich bestürzt. „Das Verfahren wurde ohne Not beschädigt und beschädigt wurde auch eine sehr gute Kandidatin und anerkannte Wissenschaftlerin“, erklärte Hubig. Der Vorgang sei „beispiellos und verantwortungslos und produziert sehr viele Verlierer“.

Unions-Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) verteidigte das Vorgehen. Wesentliche Voraussetzung sei, dass die Kandidaten für das Verfassungsgericht „über jeden fachlichen Zweifel erhaben sind“, sagte er. Dies sei aus Sicht der Union „nun nicht mehr vollständig gegeben“.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann begründete die Entscheidung, die Richterwahl zu verschieben, mit der „gemeinsamen Verantwortung“ von Union und SPD, „das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts zu schützen und zu wahren“. Die Koalition werde nun Gespräche führen, „wie eine Wahl von Verfassungsrichtern im Bundestag gelingen kann“.

Auch aus der Union kam Bedauern zu den Vorgängen: „Das ist kein guter Tag für die Demokratie, den Bundestag und das Bundesverfassungsgericht“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) der „Welt am Sonntag“.

Scharfe Kritik an CDU/CSU äußerte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Dies sei „ein Desaster für das Parlament“ und insbesondere die Koalitionsfraktionen, sagte sie. Haßelmann warf Unionsfraktionschef Spahn und Kanzler Merz „absolutes Versagen“ vor.

Die grüne Ko-Fraktionschefin Katharina Dröge bezichtigte die Union, die Plagiatsvorwürfe nur vorzuschieben. Hier werde versucht, „mit Halbwahrheiten, mit Falschbehauptungen eine angesehene Juristin zu diskreditieren“, sagte sie.

Haßelmann und Dröge forderten für nächste Woche eine Bundestags-Sondersitzung, um die Richterwahl nachzuholen. Dies sei eine Frage des Respekts gegenüber den Kandidatinnen und Kandidaten und dem Bundesverfassungsgericht.

Eine solche Sondersitzung müsste Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) einberufen. Diese warb aber dafür, die Richterwahl „in der nächsten regulären Sitzung“ nachzuholen. Die nächste Sitzungswoche findet vom 8. September an statt. „Bis dahin sollten die Fraktionen beraten, mit welchem Vorschlag sie in diese Wahl gehen möchten“, schrieb Klöckner auf X.

Auf die Linke machte die Union und Spahn für den Eklat verantwortlich. Die Absetzung der Wahlen sei „ein absolutes Armutszeugnis“ für Spahn, sagte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Sie sehe die schwarz-rote Koalition nun in einer „massiven Krise“.

Für AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann zeigt der Eklat die „absolute Instabilität“ der Bundesregierung. Er kritisierte gleichzeitig Brosius-Gersdorf und nannte sie als Verfassungsrichterin „unmöglich“.