Das Fernsehen ist voll von Klatschgeschichten aus dem Nationalsozialismus. Das war mit „Niemals vergessen“ jedoch nicht gemeint.
Kürzlich lotste mich der Algorithmus in eine Facebookgruppe, die sich vorgeblich den Schönheiten des Berchtesgadener Landes verschrieben hat. Bereits einer der ersten Beiträge widmete sich einer zweifelhaften Sehenswürdigkeit der Region, die es glücklicherweise nicht mehr gibt: Adolf Hitlers Berghof.
Die Blümchenmuster des Nationalsozialismus
Ein großer Teil der Kommentatoren bewertete das anders. Das Anwesen sei objektiv wunderschön, egal wer dort residiert haben mag. Außerdem habe Herr Hitler offensichtlich einen Sinn für geschmackvolle Inneneinrichtung gehabt, wie eine gepostete Ansichtskarte aus den Siebzigern beweise. Ich kannte das Motiv von einem Besuch des Obersalzbergs, bis vor wenigen Jahren bot der private Eigentümer des bis heute erhaltenen Türkenhofs, eines Wirtshauses, in dem früher SS-Soldaten logierten, Führungen durch den Bunker unter seinem Besitz an – und jene hübschen Karten des einstigen Wohnhauses des Diktators. Ich weiß, man soll den Kommentatoren der sozialen Medien keine Bedeutung beimessen, aber die Vehemenz, mit der hier Hitlers Geschmack für Innenarchitektur verteidigt wurde, irritierte mich dann doch.
Ansichtskarte eines Tatortes: Der Berghof im Berchtesgadener Land
© privat
Inzwischen ist die neue Staffel der Star-Wars-Serie „Andor“ beim Streamingportal Disney+ gestartet. Dass die dunklen Mächte des Imperiums stilistisch gerne mal bei Hitlers Corporate Identity klauen, ist nicht neu. Doch diesmal hat sich sogar der Berghof irgendwo im Weltall materialisiert, um dort eine intergalaktische Wannseekonferenz zu illustrieren. Kurz zusammengefasst: Ein gewisser Bösewicht namens Krennic versammelt allerlei skrupellose Fascho-Karrieristen in schneidigen Uniformen an einem eleganten Konferenztisch mit sagenhaftem Bergblick, um dort unter Geheimhaltung einen Genozid an der Bevölkerung des Planeten Ghorma zu planen. Das ist nicht weiter verwerflich, die monumentale Nazi-Ästhetik ist seit Langem Stilmittel der Popkultur und dient als Kleiderkammer und Staffage für alles, was böse sein soll. Der historische Nationalsozialismus mag vor 80 Jahren in Schutt und Asche versunken sein, die faschistische Ästhetik hat nichts an ihrer finsteren Strahlkraft eingebüßt.
Künstliche Intelligenz im Führerbunker
Das wissen auch die Schöpfer diverser History-Reihen, die immer wieder von Neuem die altbekannten Szenen aus den verdammten zwölf Jahren umsetzen. Das ZDF wartet zurzeit mit einer spektakulären Neuerzählung der letzten Tage im Führerbunker auf. Mittels brandneuer Technik ist es möglich, die dramatischen letzten Momente des Reiches noch anschaulicher darzustellen als die zahllosen bisherigen Versionen. „Eine Animation zeigt diesen Ort so realitätsnah wie nie zuvor“, rühmt sich das Öffentlich-Rechtliche. Endlich darf das deutsche Fernsehpublikum sehen, wo das berühmte Gemälde König Friedrichs des Großen genau gehangen hat, vor dem Hitler letzte unheilige Gebete sprach, die Blümchenmuster der Sofas im Bunker sehen und über das Musikprogramm der Aftershowparty von Hitlers 56. Geburtstag staunen. Zudem wird der Fernsehzuschauer mit Details über die Hochzeit versorgt: die frisch vermählte Frau Hitler habe ein schwarzes Seidenkleid mit weißen Blümchen getragen.
Es hört einfach nicht auf. Fernsehsender versorgen uns unentwegt mit neuen Dokumentationen über das bösartige Weltreich und seine Protagonisten. Der Generation Guido Knopps sind neue TV-Historiker nachgefolgt, die uns mit neuen Einsichten über das Mörderpack versorgen. Die aktuell emsigsten Erklärbären sind das Ehepaar Görtemaker, Geschichtsprofessoren, die in keiner neuen Dokusoap über die braune Epoche fehlen. Mit immer noch neuen technischen Möglichkeiten werden alle noch so vergammelten und vergilbten Aufnahmen der Hitler-Bande neu aufbereitet und mithilfe von KI anschaulich umgesetzt. Was grundsätzlich in Ordnung ginge, wäre da noch irgendein Erkenntnisgewinn anzunehmen.
Aus Erfahrung dümmer
Wie aus jüngsten Wahlergebnissen bekannt ist, werden die Deutschen aus Erfahrung keineswegs klüger. Man muss sich die Frage gefallen lassen, ob die technisch immer noch brillantere Aufbereitung des Faschismus dazu dient, die Vergangenheit besser zu verstehen. Während die Lebensleistungen der Gründergeneration der Bundesrepublik, also etwa Elisabeth Selbert, Paul Löbe, Helene Weber, Carlo Schmid oder Jakob Kaiser, fern und fahl wirkt, sind uns die Biografien der Mörderbanden unangenehm nah.
Vergangene Woche wurde ich von den Klängen des Schlagers „Blutrote Rosen“ von Rudi Schurike geweckt. Es war der 80. Sterbetag des Ehepaars Hitler und beim Deutschlandfunk fand man, dass man den Musikgeschmack Eva Brauns zu diesem besonderen Anlass dem Radiopublikum zu Gehör bringen sollte.
Mehr Aufmerksamkeit für die Nazis der Gegenwart
Währenddessen blüht der Antisemitismus im Lande, Extremisten sitzen in den Parlamenten und erklären den Zivilisationsbruch zum „Vogelschiss der Geschichte“. Wie die Kollegen dieser Redaktion jüngst in einer Titelgeschichte des stern recherchierten, ist neonazistisches Gedankengut in die Klassenzimmer deutscher Schulen eingesickert. Die Produzenten der unzähligen TV-Dokumentationen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob ihre Werke noch dem erklärten Ziel der Aufklärung dienen oder vielleicht längst das Gegenteil bewirken.
Ich habe als Journalist selbst Gespräche mit Menschen geführt, die im Propagandasystem des Nationalsozialismus eine gewisse Rolle gespielt haben, darunter Leni Riefenstahl, Wolfgang Wagner, Marika Röck und Johannes Heesters. Der Erkenntnisgewinn war jedoch gering, deren Einsichten oft unangenehm banal. „Niemals vergessen“ lautet einer der wichtigen Vorsätze dieses Landes. Er bezieht sich auf das Leid, das Deutsche vielen Millionen anderer Menschen zugefügt haben, das gigantische Verbrechen, das im Namen Deutschlands verübt wurde. Was nicht gemeint ist, sind der vegetarische Speiseplan Hitlers, die Fotografien fröhlicher Berghofgesellschaften Eva Brauns, der Kunstgeschmack Hermann Görings oder das abseitige Liebesleben von Joseph Goebbels.