Noch gut gegangen: Gewerkschaften und Arbeitgeber einigen sich auf einen höheren Mindestlohn – trotz des fragwürdigen Gebarens der SPD. Der Partei sollte es eine Lehre sein.
Was hat der Fußballfan, der mit Bier an der Seitenlinie meckert, mit dem SPD-Chef gemeinsam? Keine Ahnung von der Materie. Das meint jedenfalls Steffen Kampeter, der die Arbeitgeberseite in der Mindestlohnkommission vertritt. Jener Kommission, die heute entgegen aller Erwartung doch noch eine Einigung zur neuen Lohnuntergrenze präsentieren konnte. Trotz alledem.
Es ist schon ein Wert an sich, dass die beiden Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften an diesem Vormittag gemeinsam vor die Presse treten konnten. Etwas übernächtigt offenbar, aber doch fröhlich gestimmt: Die Mindestlohnkommission hat einstimmig beschlossen, dass der Mindestlohn deutlich steigen soll – zum 1. Januar 2026 um über einen Euro auf 13,90 Euro, im darauffolgenden Jahr auf 14,60 Euro.
Ein guter Kompromiss sei das zwischen dem, was nötig und möglich ist, um Arbeitnehmer zu schützen und Betriebe nicht zu überfordern. Sagt Steffen Kampeter von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber. Sagt aber auch Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Und ja, inhaltlich kann man das Ergebnis vertreten, politisch ist es schwer zu verkraften – jedenfalls für einen: den SPD-Chef Lars Klingbeil.
SPD erschwerte die Mindestlohn-Verhandlungen
Dass es überhaupt zum einstimmigen Beschluss der Kommission kommt, war nicht ausgemacht. Und dass es so schwer wurde, lag auch an ihm und seiner SPD. Zu aufgeladen war das ganze Verfahren durch Einmischungen aus der Politik. 2022 gab der damalige SPD-Kanzler Olaf Scholz politisch eine deutliche Erhöhung auf zwölf Euro vor – an der Kommission vorbei. Bei der darauffolgenden Verhandlungsrunde kam es, auch deshalb, zu keinem Kompromiss. Um doch eine Einigung zu erreichen, stimmte die unabhängige Vorsitzende letztlich mit den Arbeitgebern. Die Gewerkschaften waren erbost, das gesamte Verfahren stand kurz vor dem Aus.
Ein Scheitern bei der diesjährigen Verhandlungsrunde hätte das endgültige Ende der Mindestlohnkommission bedeutet. Mindestens eine der Parteien hätte den Verhandlungstisch verlassen. Die gute Nachricht des Tages lautet also: Die Kommission hat sich mit ihrem Kompromiss selbst gerettet. Trotz herausfordernder Lage, trotz lahmender Konjunktur, trotz steigender Preise. Und auch das: trotz SPD.
Sie war es, die die Verhandlungen am meisten erschwert hat. Auch darauf können sich Arbeitgebervertreter, Gewerkschafter und die unabhängige Vorsitzende einigen. Es war die absolut unzweideutige politische Forderung, nein Ansage, der Sozialdemokraten: 15 Euro! Und es war nicht irgendjemand, der das gefordert hat, sondern der SPD-Chef, Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil höchstselbst: Die Lohnuntergrenze von 15 Euro würde schon 2026 erreicht, jedenfalls dann „wenn die Mindestlohnkommission sich selbst ernst nimmt und umsetzt, was in ihrer Geschäftsordnung steht“.
Für die Kommission eine Kampfansage, Vertreter aller Seiten entsprechend bedient. Natürlich nehme man sich ernst, sagte Gewerkschafter Körzell, sonst hätte man die letzten Tage bei dem schönen Wetter auch an der Spree verbringen können. Mit anderen Worten: Danke für nichts, lieber Lars Klingbeil.
Es möge einige geben, die meinten: „Das Tor hätte aber unbedingt fallen müssen“, sagte Arbeitgebervertreter Kampeter. Aber das Ergebnis sei nun mal ein Kompromiss, ein Ausgleich, ein Geben und Nehmen. Nur scheint das demjenigen, der „mit der Bierdose in der Hand von der Seitenlinie“ meckert, nicht ganz klar zu sein.
Der Tag hätte besser beginnen können für den SPD-Chef als mit einer solchen Klatsche. Sie trifft ihn ausgerechnet an diesem Freitag, nur Stunden bevor die SPD in Berlin zum Parteitag zusammenkommt. Denkbar, dass Lars Klingbeil heute Abend ein oder auch zwei Bier ganz gut vertragen könnte.