Geschichte: Halle digitalisiert Bibliothek – Pergamentfragment entdeckt

Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle hat einen spektakulären Fund gemacht. Bei Digitalisieren einer Adelsbibliothek kam ein etwa 1.100 Jahre altes Pergamentfragment zutage.

Wer alte Buchbestände digitalisiert, findet mitunter Überraschendes. Jetzt gab es diesen besonderen Moment in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Halle). Es handelt sich um ein mittelalterliches Pergamentfragment aus der antiken fünfbändigen Schrift „De materia medica“ („Über medizinisches Material“) des Arztes Pedanios Dioskurides (um 40 n.Chr. bis um 90 n.Chr.) in lateinischer Übersetzung. „Die Schrift des Fragments deutet auf eine Entstehung im 9. Jahrhundert“, sagte die Leiterin der Historischen Sammlungen der Universitäts- und Landesbibliothek, Julia Knödler.

Mittelalterliche Handschrift als Bucheinband

Entdeckt wurde die 1.100 Jahre alte Handschrift als Einband eines Buches mit reformatorischen Schriften aus dem 16. Jahrhundert. „Das ist ein absoluter Glücksfall. Viele mittelalterliche und antike Texte sind nur noch in solchen Fragmenten überliefert“, sagte die Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek, Anke Berghaus-Sprengel. „Möglicherweise finden sich in der unbekannten Überlieferung der Schrift Textvarianten, die in anderen Handschriften nicht überliefert sind.“

Getrocknete Feigen helfen gegen Blasen- und Nierenleiden

Die Wiederverwendung älterer Handschriften war typisch für Buchbindungen der „Frühen Neuzeit“. In dem Einbandfragment geht es um getrocknete Feigen, die gegen Blasen- und Nierenleiden helfen, sowie um frische Feigen, die sich als Abführmittel eignen. Nach Angaben von Knödler ist nicht viel über Dioskurides‘ Leben bekannt. Er war möglicherweise Militärarzt in der römischen Armee, und sein Buch ist eine wichtige historische Informationsquelle über die Medikamente, die von den Griechen, Römern und anderen Kulturen der Antike verwendet wurden. „Das Pergamentfragment wird restauratorisch gesichert, wissenschaftlich untersucht und später ebenfalls digital zugänglich gemacht.“ 

Privatbibliothek im 16. Jahrhundert gegründet

Die historische Handschrift wurde bei Arbeiten zu Digitalisierung von rund 3.500 Bänden aus der „Alvenslebenschen Bibliothek“ entdeckt. Die Sammlung gilt als eine der bedeutendsten Privatbibliotheken der Renaissance in Mitteldeutschland. Ihr Gründer, der Humanist Joachim I. von Alvensleben (1514–1588), sammelte seit den 1520er-Jahren Werke aus Theologie, Philosophie, Rechtswissenschaft, Geschichte und Naturkunde. Die Bibliothek war über Jahrhunderte auf den Familiengütern der Alvenslebens erhalten geblieben. Seit 2012 befinden sich die Bücher in der Außenstelle der Universitäts- und Landesbibliothek auf Schloss Hundisburg (Landkreis Börde). 

Digitalisierung bis 2027 abgeschlossen

Bis 2027 sollen rund eine Million Seiten aus der Alvenslebenschen Bibliothek digitalisiert und erschlossen werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben mit mehr als 800.000 Euro. Die Digitalisate werden anschließend online frei verfügbar sein und per Volltextsuche durchsucht werden können.

Fragment wichtige Quelle für die Forschung 

Für die Forschung eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten. „Wir können nicht nur die Provenienzen der Bücher und damit die Struktur einer frühneuzeitlichen Adelsbibliothek besser nachvollziehen, sondern entdecken auch bislang unbekannte Quellenzeugnisse, wie dieses Dioskurides-Fragment“, sagte die Projektleiterin Jana Adolph. 

„Der Fund bietet wertvolle Einblicke in die Textüberlieferung antiker Medizin im Mittelalter und in die Wiederverwendung von Handschriften in der Buchproduktion des 16. Jahrhunderts.“ Mit dem Projekt werde nicht nur Kulturerbe bewahrt, sondern auch ein Beitrag zur internationalen Forschung geleistet. „Solche Funde zeigen, dass in historischen Sammlungen noch immer Überraschungen warten“.

Die Universitäts- und Landesbibliothek digitalisiert ihre Bestände seit 2007. Bislang wurden 150.000 Werke digitalisiert. Der Gesamtbestand umfasst fünf Millionen Bände.