In seiner Festrede zur Verleihung des 20. Johannes-Stelling-Preises redet der Publizist den Demokraten ins Gewissen und fordert mehr Streit in Respekt vor dem Anderen.
Der Publizist Michel Friedman hat in Schwerin zu mehr Engagement für die Demokratie aufgerufen. „In den nächsten vier bis acht Jahren wird sich entscheiden, ob Deutschland eine Demokratie bleibt“, sagte Friedman in einer Festrede zur Verleihung des 20. Johannes-Stelling-Preises für Courage der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern.
Er wundere sich, dass Demokraten sich in der Auseinandersetzung mit Zerstörern der Demokratie zwar abarbeiteten, aber dabei „immer ein bisschen auf der Bremse stehen, nicht so genau wissen, wie weit man gehen kann“. Dass bei Wählern der AfD von Protestwählern gesprochen werde, sei eine Unverschämtheit, wo doch jeder ein mündiger Wähler sei.
Der Publizist beklagte in seiner Rede eine „unterkomplexe Streitkultur“ in Deutschland. Man habe Konflikte in diesem Land immer eher vermieden. Die Wurzel dafür liege in der Nazi-Zeit. Oft werde versucht, über Widersprüche zu schweigen, statt sie in respektvoller Haltung dem Anderen gegenüber auszutragen.
Er habe sich auch immer über die Einrichtung „Runder Tische“ nach der Wende gewundert, wo doch dieser Tisch voller Zacken und Probleme gewesen sei. „Was hätte man damals streiten müssen, und zwar auf allen Ebenen“, sagte Friedman.
Friedman erst in Klütz – dann in Schwerin
Der Publizist trat binnen weniger Wochen zum zweiten Mal in Mecklenburg-Vorpommern auf. Ende September sprach er auf einer Kundgebung in Klütz (Landkreis Nordwestmecklenburg). Anlass war seine Ein- und spätere Ausladung zu einer Veranstaltung des dortigen Uwe-Johnson-Literaturhauses – angeblich auf Druck von Bürgermeister Jürgen Mevius (Unabhängige Wählergemeinschaft UWG).
Friedman machte in Klütz sein Unverständnis darüber deutlich, dass sich ein Bürgermeister in die Programmplanung eines Literaturhauses einmische. „Die Zeiten sind doch vorbei, dachte ich“, sagte er. An seinem Beispiel werde deutlich, worüber die Gesellschaft reden müsse – „nämlich dass die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung nicht angetastet werden kann“.
Für die Festrede in Schwerin war Friedman schon vor den Ereignissen in Klütz gebucht worden, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Julian Barlen sagte.
Stelling-Preis an Neubrandenburger Ex-OB Witt
Mit dem Johannes-Stelling-Preis wurde der ehemalige Oberbürgermeister von Neubrandenburg, Silvio Witt (parteilos), ausgezeichnet. Er habe sich trotz erheblicher Widerstände konsequent für ein buntes, tolerantes und weltoffenes Neubrandenburg eingesetzt, lobte die Jury.
Der offen homosexuell lebende Witt war nach Zerwürfnissen mit der Stadtvertretung im Mai 2025 als OB nach zehn Jahren zurückgetreten. Letzter Auslöser war ein Streit über das Hissen der Regenbogenflagge. Heute tritt Witt wieder als Kabarettist und Künstler auf.
Der Johannes-Stelling-Preis ist mit 3.000 Euro dotiert und erinnert an den 1877 geborenen SPD-Politiker Stelling. Er war 1921 bis 1924 Ministerpräsident von Mecklenburg. In der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1933 wurde er nach Misshandlungen und Folter von der SA ermordet.
Außerdem wurden in Schwerin drei Ehrenpreise verliehen, die mit jeweils 500 Euro dotiert sind. Sie gingen an den Internationalen Fußball-Club Rostock, den Stadtschülerinnenrat Schwerin sowie an Eckart Hübner und Bernd Kleist. Die beiden schufen in Malchin einen Erinnerungsort an die ehemalige Synagoge, wie es hieß.










