Bürgergespräch: Klingbeil ermahnt den Kanzler – und wird bei der AfD mal „ganz konkret“

Die „Stadtbild“-Kontroverse verfolgt Lars Klingbeil bis nach Brandenburg. Hier wurde auch schon eine Debatte eröffnet, die in der SPD an Fahrt aufnimmt: Wie umgehen mit der AfD?

Lars Klingbeil will zum Start „ein paar Gedanken“ loswerden. Einen dieser Gedanken widmet er einer Debatte, die den Koalitionspartner schon voll erfasst hat – und nun auch auf seine Partei überspringen könnte: Wie umgehen mit der AfD?

„Wir können immer darüber reden, dass das eine rechtsextreme Partei ist; dass die Hass und Hetze verbreitet“, sagt Klingbeil. „Aber ganz konkret sind die dagegen, dass ihr 41 Millionen mehr bekommt.“ 

So viel flössen nämlich allein in die Stadt Brandenburg aus Klingbeils Topf mit den Sondermilliarden, die zu einem Teil ja auch in Kommunen und Länder fließen sollen. Und es gebe eben eine Partei, die gegen diese Mittel gestimmt habe, betont Klingbeil und: „Das ist die AfD.“ 

Mittwochabend, der SPD-Parteichef-Vizekanzler-Finanzminister ist zum Bürgerdialog in Brandenburg an der Havel. Bei der Landtagswahl im September 2024 konnte die SPD die Rechtspopulisten noch hinter sich lassen, Ministerpräsident Dietmar Woidke ging mit hauchdünnem Vorsprung von 1,7 Prozentpunkten als erster ins Ziel. Mittlerweile liegt die AfD in Umfragen mit weit über 30 Prozent deutlich vorn.

Klingbeil will jetzt also „ganz konkret“ werden, so offenbar seine Losung, um die Rechtspopulisten kleinzukriegen. Aber reicht das? Diese Frage hat nun auch Teile der SPD erfasst. Bei der Union wurde sie nach dem Geschmack vieler Genossen zuletzt etwas zu konkret diskutiert.

Lars Klingbeil: „viel zu pauschal“

Namhafte Christdemokraten hatten zuletzt so laut über Wege jenseits der „Brandmauer“ nachgedacht, dass Parteichef und Kanzler Friedrich Merz sich zu einer Knallhart-Absage gezwungen sah. Aber zum einen war diese Diskussion damit nicht beendet. Und zum anderen eröffnete der Kanzler sogleich eine neue. Seine umstrittenen „Stadtbild“-Äußerungen haben dem ohnehin vorhandenen Misstrauen vieler Sozialdemokraten neue Nahrung zugeführt. Dieses Misstrauen kreist um die Frage, wie stabil die Schwarzen wohl stehen.

Klingbeil bekommt das auch an diesem Abend an der Havel schnell zu spüren. Ein Bürger fragt den SPD-Chef, ob man dem Thema nicht viel offensiver begegnen müsse, anerkennen also, dass sich das Stadtbild tatsächlich verändert habe, es Orte gebe, an denen junge Frauen abends nicht mehr hingingen. Könne man so nicht jenen den entziehen, die das Thema instrumentalisieren?

„Das Thema ist einfach viel differenzierter, als das manchmal jetzt im Diskurs dargestellt wird“, antwortet Klingbeil. Natürlich gebe es Probleme in Innenstädten und anderen Orten, über die man reden müsse. Er wolle aber Lösungen anbieten, etwa die Polizei stärken. Die Frage sei nicht, welchen Nachnamen man habe. „Die Frage ist: Hältst Du Dich an die Regeln?“ Er, sagt Klinbeil, halte nichts „von der Vermischung von Migrations- und Sicherheitsdebatten“, das sei ihm „viel zu pauschal“. 

Fast zur selben Zeit tritt der Kanzler in London vor die Presse. Eigentlich geht es um die Gespräche, die er auf dem Westbalkan-Gipfel geführt habe, aber was bleibt, ist die Nachricht: Merz hat seine umstrittene „Stadtbild“-Aussage konkretisiert. Der Zoff um seine Äußerungen war offenbar zu groß geworden. Merz betont, dass es auch in Zukunft Einwanderung brauche. Er sagte aber erstmals auch konkret, was ihn am öffentlichen Bild deutscher Städte störe: Migranten ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten. Das dürfte die Kontroverse, die längst auch die Koalition erfasst hat, nicht befrieden. Eher im Gegenteil. 

Klingbeil kann beim Bürgerdialog davon noch nichts wissen. Er sagt noch, dass er dem Kanzler nie etwas Schlechtes unterstellen würde – sie würden sich gut kennen, viel reden. Aber als SPD-Vorsitzender habe er eine klare Meinung: „Wir müssen aufpassen, dass wir an dieser Stelle nicht Menschen verlieren.“ Einen Satz, den er wenige Stunden zuvor noch beim Gewerkschaftskongress IG BCE in Hannover gesagt hatte, wiederholt Klingbeil an dieser Stelle nicht: „Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht.“ 

Das war eine Abgrenzung zum Kanzler, auch eine Ermahnung. Eine Strategie ist das freilich nicht. Was Klingbeil in Havel nicht näher ausführt, ist, wie die Regeln, an die sich alle halten müssten, „sehr klar und konsequent“ umgesetzt würden, um auch der AfD den Nährboden entziehen zu können.

AfD-Debatte in der SPD

Und weil es rein politisch betrachtet darum am Ende immer geht, hat nun auch die SPD eine AfD-Debatte. Eröffnet wurde sie am Montag, und zwar ausgerechnet hier in Brandenburg, ausgerechnet durch den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke selbst. Seine Devise, salopp gesagt: Er würde jederzeit mit der AfD kooperieren – nachdem sie alle, die Staat und Demokratie verachten, aus der Paertei geworfen habe, einfache Aufgabe. Sein SPD-Generalsekretär legte gleich nach. „Die Zeit, in der man die AfD ignoriert oder mit einer gewissen moralischen Überlegenheit von oben herab behandelt hat, hat uns sicherlich geschadet“, sagte Kurt Fischer der Nachrichtenplattform „Pioneer“. „Die Menschen erreicht man längst nicht mehr, wenn man nur sagt: ‚Das ist Hass und Hetze.'“

Das finden längst nicht alle gut in SPD. Der Thüringer SPD-Innenminister Georg Maier kanzelte Fischers Aussage als „Einzelmeinung“ ab. In der SPD gebe es keinerlei Debatte darüber, den Umgang gegenüber der AfD zu ändern. Offenkundig schon. Denn auch Maier selbst sucht längst nach neuen Wegen – und setzt offenkundig auf den Frontalangriff. 

Nicht nur, dass er alle paar Tage seine Forderung nach einem Verbotsverfahren gegen die AfD bekräftigt, zuletzt unterstellte er der AfD, dass sie ihr parlamentarisches Fragerecht dazu missbrauche, „gezielt unsere kritische Infrastruktur auszuforschen“. Die Provokation funktionierte. Der thüringische AfD-Landeschef Björn Höcke forderte die Entlassung Maiers.

Wie also umgehen mit der AfD? Parteichef Lars Klingbeil wird daran gemessen werden, wie das Superwahljahr 2026 für die SPD verläuft. Die AfD ist dabei ein entscheidender Faktor, insbesondere in Ostdeutschland, wo zwei Landtagswahlen bevorstehen – und die AfD die Umfragen mit Abstand anführt. Schon jetzt hat sie den Sozialdemokraten die Arbeiter, ihr Kernklientel, abgetrotzt. 

Nach fast zwei Stunden will Klingbeil auf einer positiven Note enden. Er habe bisher kein Land kennengelernt, in dem er lieber leben würde als in Deutschland, sagt er. Das heiße nicht, dass es keine Probleme gebe. Aber: „Wir werden sie nicht mit Hass und Hetze und schlechter Laune lösen können.“ 

Die AfD nennt Klingbeil nicht beim Namen, es ist auch so klar, wer gemeint ist.