In Madagaskar hat nach wochenlangen Protesten gegen die Regierung eine Elite-Einheit der Armee nach eigenen Angaben die Führung übernommen. „Ab heute übernehmen wir die Macht und lösen den Senat und den Obersten Verfassungsgerichtshof auf“, sagte der Chef der Einheit Capsat, Michael Randrianirina, am Dienstag vor dem Präsidentenpalast des ostafrikanischen Landes in Antananarivo. Die Verwaltung des ins Ausland geflohenen Präsidenten Andry Rajoelina sprach von einem „Putschversuch“.
Mit Blick auf das Unterhaus im madagassischen Zweikammer-Parlament sagte Armeekommandeur Randrianirina weiter: „Die Nationalversammlung lassen wir weiterhin arbeiten.“ Er fügte hinzu, dass die Militäreinheit ein Regierungskomitee aus Mitgliedern der Armee, der Gendarmerie und der nationalen Polizei bilden werde.
Der Ausschuss werde die Arbeit der Präsidentschaft übernehmen. „Vielleicht werden mit der Zeit auch hochrangige zivile Berater hinzukommen“, betonte Randrianirina. „Gleichzeitig werden wir nach einigen Tagen eine zivile Regierung bilden.“ Die von Randrianirina angeführte wichtige Armeeeinheit Capsat hatte sich bereits am Wochenende auf die Seite regierungskritischer Demonstranten gestellt.
Nach Randrianirinas Ansprache jubelten Menschenmengen in der Hauptstadt einem Konvoi aus Mitgliedern der Militäreinheit zu. Wie AFP-Journalisten berichteten, fuhren Capsat-Mitglieder auf gepanzerten Geländewagen und Pick-ups durch die Hauptstadt. Menschenmengen füllten die Straßen, jubelten und winkten den vorbeifahrenden Soldaten zu. Einige folgten dem Konvoi mit ihren Autos und hupten. Auf dem Platz des 13. Mai feierten Menschen, schwenkten madagassische Flaggen und sangen.
Die Präsidentschaft Madagaskars verurteilte das Vorgehen der Eliteeinheit als „Putschversuch“. Präsident Rajoelina bleibe weiter im Amt, hieß es weiter. Der ins Ausland geflohene 51-Jährige hatte am Dienstagmorgen das Parlament aufgelöst, um eine Abstimmung über seine Absetzung zu verhindern. Diese fand dennoch statt: Mit großer Mehrheit votierten die Abgeordneten des Unterhauses für Rajoelinas Entfernung aus dem Amt. Die Präsidentschaft erklärte die Abstimmung für illegal.
Das Verfassungsgericht stellte indes die „Vakanz“ des Präsidentenamtes fest und forderte in einer Erklärung „die zuständige Militärbehörde“, die durch Oberst Randrianirina vertreten werde, auf, „die Aufgaben des Staatschefs auszuüben“.
Die Proteste in Madagaskar hatten am 25. September begonnen. Auslöser waren regelmäßige Stromausfälle von mehr als zwölf Stunden pro Tag sowie Probleme bei der Wasserversorgung. Die mit Blick auf das junge Alter der meisten Protestierenden unter dem Namen „Gen Z“ zusammengeschlossene Protestbewegung hatte unter anderem Rajoelinas Rücktritt gefordert. Nach UN-Angaben wurden seit Beginn der Proteste mindestens 22 Menschen getötet und mehr als 100 weitere verletzt. Rajoelina sprach von zwölf Toten, bei ihnen handele es sich um „Plünderer“ und „Einbrecher“.
Das vor der afrikanischen Ostküste liegende Madagaskar gehört trotz seines Reichtums an Rohstoffen zu den ärmsten Ländern der Welt. Fast 75 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
Das Land hat eine lange Geschichte von Volksaufständen, auf die jeweils militärische Übergangsregierungen folgten. Rajoelina war nach einem Volksaufstand im Jahr 2009 vom Militär zum Übergangspräsidenten ernannt worden. Nachdem er sich 2014 zurückgezogen hatte, wurde er 2018 zum Präsidenten gewählt und 2023 in einer von der Opposition boykottierten Wahl für fünf Jahre im Amt bestätigt.