Koalitionsstreit: Eklat um Wehrdienst: Pistorius lässt Union auflaufen

Am Dienstagnachmittag wollten Union und SPD einen Kompromiss beim Wehrdienst vorstellen. Doch dann wurde die Pressekonferenz abgesagt. Dafür soll ein Mann verantwortlich sein.

Das war auch für erfahrene Journalisten ein irritierender Moment. Am Dienstagnachmittag hatten sie sich zu einer erst am Vormittag anberaumten Pressekonferenz von Union und SPD im Bundestag eingefunden. Doch dann passierte: nichts. Nach einer halben Stunde wurde der Termin abgesagt. Dahinter steckt die unerwartete Eskalation eines Streits.

SPD gegen Union: Wehrpflicht spaltet die Koalition

Seit Wochen ringen die Koalitionäre um einen Kompromiss beim neuen Wehrdienstgesetz, das am Donnerstag in erster Lesung vom Bundestag beraten werden sollte. Die SPD setzt auf Freiwilligkeit, die Union hält eine Option zur Pflicht, wenn freiwillig nicht genügend Soldaten rekrutiert werden können, für unerlässlich. Einig ist man sich lediglich, dass die aktuelle Zahl an Soldatinnen und Soldaten (knapp 183.000) nicht ausreicht, wenn man die Vorgaben der Nato erfüllen und Deutschland für einen möglichen russischen Angriff auf Nato-Gebiet wappnen will.

Nun schien eine gesichtswahrende Lösung für beide Seiten gefunden: Sollten sich nicht genügend junge Männer freiwillig zur Musterung melden, wollte man per Losverfahren die notwendige Zahl ermitteln.

Stolz wollten Union und SPD diese Botschaft ausführlich in einer Pressekonferenz erläutern. Schon am Mittag hatten die beiden Fraktionschefs, Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD), die Einigung bestätigt. Eine Pressemitteilung und eine Grafik waren vorbereitet. 

Alarmierende SMS-Nachrichten aus der Fraktion

Dann kamen die Fraktionen zu ihren wöchentlichen Sitzungen zusammen. Und während man bei der Union noch glaubte, dass alles den besprochenen Gang ginge, kamen aus dem SPD-Fraktionssaal beunruhigende SMS-Nachrichten.

Dort soll Verteidigungsminister Boris Pistorius in sehr klaren Worten formuliert haben, was er vom Kompromiss hält: absolut nichts. So berichten es Teilnehmer. Auch andere Teilnehmer äußerten sich dem Vernehmen nach befremdet darüber, dass sie Einzelheiten des angeblichen Kompromisses zuerst in den Medien gelesen hätten. Die Stimmung in der Sitzung kippte. Es gab Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit eines Losverfahrens. Und auch am Eindruck, den dieses in der Öffentlichkeit hinterlassen könnte: dass der potenziell lebensgefährliche Dienst ein Spiel des Zufalls sei.

Ein gewagter Filmvergleich

Draußen machten längst schon andere ebenfalls Stimmung gegen das Modell. Von „Wehrdienst-Lotterie“ war die Rede. Linkenfraktionschef Sören Pellmann sprach von einer „Lotto-Wehrpflicht“, die ihn an die „Tribute von Panem“ erinnere. Ein gewagter Vergleich: In der von Hollywood verfilmten Buch-Trilogie werden per Losverfahren Teilnehmer eines modernen Gladiatorenkampfes ermittelt, für die der Wettbewerb entweder mit dem Sieg oder dem Tod endet.

Käme die Wehrpflicht tatsächlich, so müsste auch der Zivildienst wieder reaktiviert werden. In Deutschland kann niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden.

Wie es jetzt weiter geht, ist unklar. Dem Vernehmen nach versuchen hochrangige Koalitionäre hinter den Kulissen weiterzuverhandeln. Weitere Beratungen scheinen jedenfalls unvermeidlich. Die Zeit drängt. Zum 1. Januar sollte Stufe 1 des neuen Wehrdienstgesetzes in Kraft treten. Sie sieht vor, dass alle Männer eines Jahrgangs einen Musterungsbogen erhalten, den sie verpflichtend ausfüllen müssen. Auch Frauen bekämen den Bogen, aber ohne Pflicht zum Ausfüllen. Denn um sie zu rekrutieren, wäre eine Grundgesetzänderung notwendig.

Nun ist nicht einmal klar, ob am Donnerstag die erste Lesung des Gesetzes stattfindet. Auch, ob am Ende das Losverfahren nicht doch noch kommt, ist völlig offen. Nur eines steht fest: Das Gezerre um den Wehrdienst hinterlässt nach der verpatzten ersten Richterwahl erneut den Eindruck einer Koalition, in der Absprachen eine kurze Halbwertszeit haben.