Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen hat sich bei einem Besuch in Grönland persönlich bei den Opfern eines durch die dänische Regierung jahrzehntelang praktizierten Zwangsverhütungsprogramms entschuldigt. Es handele sich um einen „Verrat mit schwerwiegenden Konsequenzen für die grönländischen Mädchen“, sagte Frederiksen am Mittwoch bei einer Zeremonie in der grönländischen Hauptstadt Nuuk. „Im Namen Dänemarks entschuldige ich mich“, fügte die Regierungschefin der ehemaligen Kolonialmacht Grönlands hinzu.
Der grönländische Ministerpräsident Jens-Frederik Nielsen sagte, die Entschuldigung bedeute nicht, „dass wir akzeptieren, was geschehen ist“.
Zwischen 1960 und 1992 hatten die dänischen Behörden etwa 4500 einheimischen Inuit-Frauen – die Hälfte der gebärfähigen weiblichen Bevölkerung Grönlands zu der Zeit – zwangsweise eine Verhütungsspirale eingesetzt. Viele der Frauen blieben dauerhaft unfruchtbar, fast alle trugen körperliche und psychische Schäden davon. Ziel der Maßnahme war es, die Geburtenrate in der indigenen Bevölkerungsgruppe der Inuit zu senken. Rund 150 Betroffene verklagten den dänischen Staat, der Prozess steht noch aus.
Bei der Zeremonie in einem Kulturzentrum in Nuuk am Mittwoch waren viele Menschen im Publikum schwarz gekleidet und wischten sich Tränen aus den Augen. Unter ihnen war Kirstine Berthelsen, die der Nachrichtenagentur AFP von ihren zwei Eileiterschwangerschaften, langen Krankenhausaufenthalten und Operationen berichtete. Die Problem hingen ihrer Meinung nach mit der Verhütungsspirale zusammen.
Die persönliche Entschuldigung Frederiksens sei für ihren Heilungsprozess wichtig, sagte die 66-jährige Rentnerin. „Ich kann nun mein Leben weiterführen, ohne dass Hass, Wut und Negativität mich innerlich auffressen“, sagte sie. Auch einige der Betroffenen ergriffen bei der Veranstaltung das Wort.
Der Besuch und die persönliche Entschuldigung werde „ein sehr wichtiger Moment für diese Frauen sein, aber auch für die Gesellschaft als Ganze“, sagte die Abgebordnete Aaja Chemnitz, die Grönland im dänischen Parlament vertritt, der Nachrichtenagentur AFP im Vorfeld der Zeremonie.
Es handele sich um „einen zweiten Schritt im Versöhnungsprozess“, nachdem sich Frederiksen Ende August bereits im Namen der Regierung öffentlich bei tausenden Grönländerinnen entschuldigt habe, sagte Chemnitz.
Die dänische Regierung will außerdem einen sogenannten Versöhnungsfonds einrichten, um die von Zwangsverhütungsmaßnahmen betroffenen Frauen sowie andere Inuit, die Opfer von Diskriminierung wurden, zu entschädigen.
Derzeit läuft eine Untersuchung zu den rechtlichen Auswirkungen der Zwangsverhütungsprogramms. Der Bericht, der klären soll, ob die dänische Zwangsverhütungskampagne einen „Völkermord“ darstellt, soll Anfang 2026 veröffentlicht werden.
Grönland war seit 1953 keine dänische Kolonie mehr, blieb aber Teil des dänischen Staatsgebiets. Erst 2009 erlangte die flächenmäßig größte Insel der Welt weitreichende politische Autonomie.
Kinder aus Grönland waren zudem lange Zeit nach Dänemark verschleppt und dort zur Adoption freigegeben worden – ein weiteres heikles Thema, das für Spannungen zwischen beiden Seiten führt. Kopenhagen bemüht sich seit mehreren Jahren verstärkt um bessere Beziehungen zu der ressourcenreichen ehemaligen Kolonie in der Arktis. US-Präsident Donald Trump hatte in den vergangenen Monaten wiederholt mit der Übernahme des Gebiets durch die USA gedroht und dabei auch die Anwendung von Gewalt nicht ausgeschlossen.
Der Abgeordneten Chemnitz zufolge ist die Entschuldigung der dänischen Regierung eine direkte Folge von Trumps Äußerungen zur Übernahme Grönlands. „Es ist der Druck von außen, insbesondere aus den Vereinigten Staaten, der Dänemark dazu zwingt, seine Bemühungen zu verstärken“, sagte sie. „Ich bin seit zehn Jahren Abgeordnete und habe bis jetzt noch nie so viel Engagement gesehen.“
Auch die Historikerin Astrid Andersen, die am Dänischen Institut für Internationale Studien forscht, erklärte, in der Vergangenheit hätten sich die dänischen Ministerpräsidenten „stets äußerst zurückhaltend gezeigt, wenn es darum ging, in Grönland begangene Ungerechtigkeiten anzuerkennen“.