Toni Krahl startet nach dem Ende von City mit 75 Jahren solo durch. Sein Debütalbum verarbeitet Verluste, bietet Hoffnung – und überrascht mit einem ganz besonderen Song.
„Am Morgen danach reiben wir uns die Augen. So war’s nicht gedacht und wir wollten’s nicht glauben“ – singt Toni Krahl in einem seiner neuen Songs. Es geht hier aber nicht etwa um den Morgen nach einer Liebesnacht, sondern um den 31. Dezember 2022. Es war der Tag nach dem letzten Konzert der Band City, in der Krahl mehrere Jahrzehnte der Frontmann war. „Es geht um die Leere, die danach entstanden ist“, schildert der 75 Jahre alte Sänger der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Knapp drei Jahre nach dem Ende von City beginnt eine neue Ära für ihn – gegen die Leere: Krahl startet eine Solo-Karriere. Am Freitag (19. September) erscheint sein Debütalbum „Genauso war’s“ mit 17 neuen Titeln – darunter „Am Morgen danach“. Krahl hat sich dafür eine Band zusammengestellt. Sie heißt die KINX vom Prenzlauer Berg – benannt nach einem beliebten City-Song.
„Das Album ist sehr persönlich“, sagt Krahl der dpa. Es behandle viele schwere, melancholische Themen, aber auch Heiteres und Aufmunterndes. Auch eine Deutschland-Tour ist geplant, Start ist am 22. November im sächsischen Freiberg. Im Konzert will der 75-jährige Berliner mit der rauchigen Stimme dann aber auch viele Titel seiner alten Band spielen.
Die Stimme von City – bis 2022
In der Band City („Am Fenster“), die 1972 in Ost-Berlin gegründet worden war, hatte der charismatische Sänger mehr als ein halbes Leben verbracht. Eine der erfolgreichsten Rockgruppen der DDR feierte auch nach dem Mauerfall große Erfolge – in Ost und West.
Doch im Mai 2020 gab es einen schweren Einschnitt für die Band: Schlagzeuger Klaus Selmke starb an Krebs. Die vier verbliebenen City-Mitglieder beschlossen, Ende 2022 aufzuhören – 50 Jahre nach der Band-Gründung. 10.000 Fans kamen zum Abschiedskonzert in Berlin.
Sehnsucht nach den City-Liedern
Krahl stand schon bald wieder am Mikro: Zwei Jahre lang als Gastsänger bei der befreundeten Band Silly: „Mit Silly war es eine weiche Landung. Ich war dankbar, dass sie mir das zugetraut haben“, so Krahl. Aber: „Ich habe Sehnsucht bekommen nach den alten City-Liedern.“
Mehrere Schicksalsschläge
Zugleich verlor der Musiker in den vergangenen Jahren mehrere enge Wegbegleiter. Im Titelsong des Albums, der sein Musikerdasein ebenso wie sein Privatleben beschreibt, geht eine Zeile besonders unter die Haut: „Am Schluss bleibt keiner ungeschor’n. Hab’ Freunde und mein Kind verlor’n.“
Es geht um die ältere der beiden Töchter, sie war 1969 zur Welt gekommen. Der dpa berichtet Krahl: „Meine große Tochter ist 2022 an Krebs gestorben. Ich war gerade mit City auf der letzten Tour unterwegs – und musste an diesem Abend auf die Bühne. Sie hat so gekämpft mit Krebs, drei Jahre lang. Ich dachte mir, dann werde ich ja wohl auch zwei Stunden Kampf schaffen.“ 2024 starb überraschend City-Gitarrist Fritz Puppel – auch ein enger privater Weggefährte.
Lied für die eigene Beerdigung
Um seinen eigenen Tod geht es im Song „Abschied“. Krahl hat ihn ursprünglich nur als Musik für seine Trauerfeier geschrieben. „Ich hab’ das Lied meiner Frau gegeben mit den Worten „Es ist zur besonderen Verwendung. Ich möchte nicht, dass jemand anderes an meinem Grab singt““, berichtet er. Aber Kollegen hätten ihn dann überredet, den Song mit auf das Album zu nehmen.
Seine Stimme ist bei diesem Lied so tief, dass man sie kaum erkennt. Krahl erklärt: „Es sollte so klingen wie Johnny Cash auf seinem letzten Album, das er aufgenommen hat. Da klingt er teilweise so wie aus dem Jenseits.“
Krahl, der Optimist
An vielen anderen Stellen versprüht das Album hingegen Optimismus und macht Mut: „Ohne Angst gibt es kein Hoffen. Immer steht ein Ausgang offen“ – heißt es in den Zeilen bei dem Song „Sag niemals nie“. Ebenso wie fast alle anderen Texte stammen sie von Alfred Roesler-Kleint, der auch viel für City geschrieben hatte. Krahl, von dem fast alle Kompositionen auf dem Album stammen, sagt über sich: „Ich hab’ ein sonniges Gemüt. Wenn mir was Schlechtes passiert ist, hab’ ich schon als Junge gesagt: „Wer weiß, wozu es gut ist““.
So endet der teils sehr traurige Titelsong mit der Erkenntnis: „Kein Auf und Ab hat mich verschont. Doch schließlich hab’ ich Dich gefunden. Und dafür hat es sich gelohnt.“ Im Video zu sehen: Ehepaar-Fotos von ihm „und meiner Tanja“.
Ein Weihnachts-Song als Bonus
Ein neuer Song unterscheidet sich extrem von den anderen: „Wer hat nen Bart wie Schnee und Frost? Wer kriegt am Nordpol Wunschbriefpost?“ So startet – ziemlich überraschend nach den vielen autobiografischen Titeln – das letzte Stück auf dem Album. Es geht um den Weihnachtsmann, samt Kinderchor.
Krahl hat eben auch Humor und ist oft zu Scherzen aufgelegt. Aber ein Weihnachtslied auf einem Debüt-Album – und das im September? Wie kam es dazu? Krahl: „Das ist ein Cover eines Bob-Dylan-Songs – als Bonus. Ich hab‘ das Dylan-Lied gehört und fand es lustig. Es ist mal was völlig Anderes.“