FRIED – BLICK AUS BERLIN: Friedrich Merz: Und ewig rudert er zurück

Der Kanzler schätzt die klare Kante. Gut so, dann weiß man, woran man ist. Doch immer wieder ist Friedrich Merz sich selbst zu schnell. Leider hört er nicht auf Kolumnisten.

Ein Journalist sollte nicht bei sich selbst abschreiben. Aber in meinem Alter, wenn man zu manchen Politikern immer mehr Gedanken aus dem ohnehin begrenzten persönlichen Reservoir schon gedacht hat, bedient man sich eben bisweilen doch einer Anleihe bei sich selbst. Und eines kann ich zu meiner Entschuldigung sagen: Zu niemandem passt das Motiv der Wiederholung besser als zu Friedrich Merz. Er macht immer wieder denselben Fehler und lernt einfach nicht dazu.

Friedrich Merz war gewarnt

Im November 2024 habe ich an dieser Stelle aufgezählt, wie oft der damalige Kanzlerkandidat erst eine forsche Ansage von sich gab und einige Tage später zurückruderte, relativierte, es anders gemeint haben wollte. Da ging es um einen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen, erst knallhart, ja, dann doch nicht, wegen der Verfassung. Da ging es um ein Zusammenwirken der CDU mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht, erst knallhart nein, dann in den Ländern doch. Da ging es um den Termin der Neuwahlen, die Merz erst schnell für den 19. Januar forderte, dann, ach nee, geht doch nicht, okay, 23. Februar.

Eigentlich dachte ich damals: Nachdem ich ihm sein Ungestüm so anschaulich vor Augen geführt hatte, würde Merz vorsichtiger. Typische Hybris eines Berliner Journalisten. Es wurde schlimmer.

Erst spielte Merz am Rednerpult des Bundestages Staatsmann und kündigte an, nichts mit der AfD anstellen zu wollen. Dann nahm er doch in Kauf, dass die Rechten ihm für einen Antrag die Mehrheit beschafften. Von der Schuldenbremsenschaukel oder dem Taurus-Wirrwarr wollen wir hier gar nicht wieder anfangen.

Merz hat einen Hang zur klaren Kante. Das hat auch positive Seiten, jedenfalls solange man denkt zu wissen, was er will. Konnte man das von seinen Vorgängern immer behaupten?

Aber jetzt, wie es der Schriftsteller Wolf Haas in seinen Brenner-Romanen immer formuliert, jetzt ist schon wieder was passiert. Erst dachte man, Merz wolle am Sozialstaat kürzen und sich auch vom Vorwurf des Kahlschlags nicht aufhalten lassen, wie er es laut tönend formulierte. Dann aber befand er nach zwei Bier mit Bärbel Bas, es gehe doch nicht ums Kürzen. Selbst die eigenen Leute sind verwirrt.

Noch ein Beispiel? Am 18. August in Washington schien Merz zu „mandatspflichtigen Beschlüssen“ bereit zu sein. Das bedeutet, die Bundeswehr im Falle eines Falles als Friedenstruppe in die Ukraine zu schicken. Neuerdings klingt es, als wolle der Kanzler sich doch nur mit Waffenlieferungen und finanziell beteiligen, also mit dem Scheckbuch, wie das 1990 noch hieß, als Helmut Kohl sich auf ähnliche Weise vom Krieg der USA zur Befreiung Kuwaits freikaufte. Stimmt schon, Merz hat sich nicht wirklich festgelegt. Aber bei einem Kanzler ist bereits der Eindruck bedeutsam, den er erweckt. Und der ist mal so und dann wieder so.

Friedrich Merz ist sich selbst zu schnell

Mit diesem Hin und Her, das die Amerikaner so schön Flipflopping nennen, bringt sich Merz selbst in eine missliche Lage.

Diejenigen, die sich auf die eine Ansage verlassen, sind irritiert. Und diejenigen, die das andere wollen, zweifeln: Ach komm, der Merz, am Ende macht er’s doch wieder anders. Beim Oppositionsführer war’s nicht so schlimm. Aber als Kanzler?

Merz ist sich bisweilen selbst zu schnell. Wenn man jedoch immer öfter nicht recht weiß, was gilt, ist es den Leuten irgendwann egal.