Neuer Anlauf für die Richterwahl: Nach dem Eklat um Frauke Brosius-Gersdorf hat die SPD-Bundestagsfraktion nun die Juristin Sigrid Emmenegger für das Bundesverfassungsgericht nominiert. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch aus Fraktionskreisen erfuhr, ist die Personalie zwischen den Fraktionsspitzen von SPD und Union abgestimmt. Die bisherige Richterin am Bundesverwaltungsgericht soll am 22. September vom Wahlausschuss des Bundestags offiziell aufgestellt und vier Tage später im Plenum zur Wahl gestellt werden.
Damit unternimmt die Koalition zweieinhalb Monate nach der gescheiterten Richterwahl vom Juli einen zweiten Versuch, drei Kandidatinnen und Kandidaten in die frei gewordenen Richterstellen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu wählen. Der erste Anlauf war kurz vor der Sommerpause abgesagt worden, nachdem die Unionsfraktion ihre zunächst zugesicherte Unterstützung für die von der SPD nominierte Juristin Brosius-Gersdorf zurückgezogen hatte.
Brosius-Gersdorf zog angesichts der Ablehnung durch die Union ihre Kandidatur zurück. Neben ihr hatte die SPD die Rechtswissenschaftlerin Ann-Katrin Kaufhold als Kandidatin nominiert, die Union unterstützt die Kandidatur von Günter Spinner, der derzeit Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht ist. Es wird erwartet, dass beide erneut zur Wahl stehen – nun zusammen mit Emmenegger. Für die Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit im Plenum nötig.
Die neue Kandidatin Emmenegger wurde am 4. Oktober 1976 in Freiburg geboren. Ihre juristische Karriere begann 2007, sie wurde Richterin am Verwaltungsgericht Mainz und später am Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz, dessen Vizepräsidentin sie im Juli 2019 wurde. Im Oktober 2020 wurde Emmenegger zur Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gewählt.
Der „Tagesspiegel“ zitierte am Mittwoch aus einem Schreiben der Parlamentsgeschäftsführer von Union und SPD, Steffen Bilger (CDU) und Dirk Wiese (SPD), an ihre Fraktionen. Emmenegger könne „auf eine lange und erfolgreiche Praxiserfahrung an verschiedenen Verwaltungsgerichten sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht zurückblicken“, heißt es darin. Die Fraktionsführungen hätten „jeweils in persönlichen Gesprächen ein sehr positives Bild von Frau Dr. Emmenegger gewinnen können“ und seien „von ihrer persönlichen und fachlichen Geeignetheit für das Amt überzeugt“.
Die gescheiterte Richterwahl im Juli hatte vor der parlamentarischen Sommerpause für Verstimmungen in der Koalition gesorgt. Die SPD warf dem Koalitionspartner Union vor, Zusagen nicht eingehalten zu haben. Die Union hatte bei ihrer Entscheidung unter anderem auf die liberale Haltung von Brosius-Gersdorf zum Thema Abtreibung verwiesen.
Wie AFP aus Fraktionskreisen weiter erfuhr, soll nun mit den Oppositionsfraktionen über die neue Kandidatin gesprochen werden. Für eine Zweidrittelmehrheit ist die Koalition neben den Grünen auch auf Stimmen der AfD oder der Linkspartei angewiesen.
Die Grünen zeigten sich am Mittwoch enttäuscht über das Vorgehen von Union und SPD und ließen eine Zustimmung für Emmenegger offen. „Auch uns hat ein Name für eine vorzuschlagende Person erreicht, wir werden uns jetzt zeitnah dazu austauschen. Dass man nicht auf unsere Rückmeldung wartet, ist reichlich unprofessionell angesichts der Vorgeschichte“, sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann dem „Stern“.
Die Linke forderte beide Koalitionsfraktionen zu Gesprächen auf. „Für uns als Linke ist klar: Die Koalition muss jetzt so schnell wie möglich mit uns das Gespräch suchen, um für demokratische Mehrheiten zu sorgen und weiteres Chaos zu verhindern“, sagte die innenpolitische Sprecherin Clara Bünger. „Die CDU darf sich dabei nicht hinter der SPD verstecken, sondern muss endlich ihre ideologischen Scheuklappen ablegen und sich mit uns an einen Tisch setzen“, sagte Bünger mit Blick auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU mit der Linkspartei.
Eine Zusammenarbeit mit der in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften AfD schließen beide Koalitionsfraktionen aus. Die AfD-Fraktion kündigte trotzdem an, die neue Personalie zu prüfen. „Wir werden die neue Kandidatin und deren Positionen sorgfältig prüfen und uns danach ein Urteil bilden“, sagte Parteivize Stephan Brandner der „Rheinischen Post“. „Und selbstverständlich gehen wir davon aus, dass sich Frau Emmenegger auch unserer Fraktion vorstellen wird, wenn sie dies bei anderen so handhabt.“