Politische Kultur: Ein verunglücktes Interview mit der Abgeordneten Paula Piechotta

Die grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta gehört zu den lautesten Kritikern führender Unionspolitiker. Auf Fragen des stern reagierte sie teilweise mit Zensur.

Paula Piechottaist Opposition pur. Seit 2021 vertritt die 38-jährige Fachärztin für Radiologie die sächsischen Grünen im Bundestag. Piechotta ist Mitglied Haushaltsausschuss, Obfrau im Rechnungsprüfungsausschuss und engagiert sich für eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Dazu zählen auch und vor allem die wegen ihrer Milliarden-Kosten umstrittene Masken-Beschaffung durch den damaligen Bundesgesundheitsminister und heutigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn. 

Vor allem den Unions-Fraktionschef greift die grüne Abgeordnete regelmäßig frontal an. So deutete sie in einer Parlamentsrede an, dass er sich an Maskengeschäften bereichert haben könnte. Auf der Plattform X warf sie zuletzt aber auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner indirekt Korruption vor.

Ist das der neue Stil, die neue Strategie der Grünen in der Opposition? Wie wichtig ist der Abgeordneten die von ihrer Partei stets hochgehaltene politische Kultur? Und gehen die konkreten Anwürfe an einigen Stellen nicht zu weit?

Paula Piechotta verweigerte die Freihabe des Interviews 

Über diese Fragen wollte der sternmit Piechotta reden. Die Abgeordnete erklärte sich gerne zu einem Interview bereit. Das 45-minütige Gespräch fand am 25. August im Berliner Bundestag in durchgängig freundlicher Atmosphäre statt. Die Abgeordnete sagte danach eine rasche Autorisierung des mitgeschnittenen Wortlaut-Interviews zu. Das im deutschen Journalismus übliche Verfahren sieht vor, dass der Interviewer das oft sehr viel längere Gespräch nach der Transkription strafft und danach der oder dem Interviewten zur Freigabe sendet. Dies soll Missverständnissen vorbeugen und dabei helfen, Fehler zu vermeiden. 

Frau Piechotta bekam noch am selben Abend das bearbeitete Gespräch zugesandt. Allerdings verweigerte sie daraufhin die Freigabe. Als Grund nannte sie, dass ihre Antworten verkürzt wiedergegeben seien. Auf Hinweise, dass sie im Autorisierungsprozess natürlich – wie jeder andere Politiker auch – ihre Antworten präzisieren oder ergänzen könne, ging sie nicht ein. Später erklärte sie mehrfach, sie finde leider keine Zeit, um das Gespräch zu bearbeiten.

Erst nach einer Woche reagierte Piechottas Büro auf eine Intervention durch die Leitung des stern-Politikressorts und kündigte eine Bearbeitung bis zum Ende der Woche an. In dem nun freigegebenen Gespräch waren jedoch ganze Passagen einschließlich der Fragen des stern gestrichen worden – was der gängigen Autorisierungspraxis komplett widerspricht. Auf Nachfrage, ob es sich dabei um ein Missverständnis handele, antwortete eine Mitarbeiterin des Abgeordnetenbüros sinngemäß, dass es damit schon seine Richtigkeit habe. 

Daraus erklärt sich die ungewöhnliche und in Teilen nur schwer lesbare Form des autorisierten Interviewtextes. Die Redaktion hat sich trotzdem dazu entschieden, ihn einschließlich der von Piechotta zensierten Fragen zu dokumentieren.

Frau Piechotta, ist Kanzler Friedrich Merz ein Arschloch?
Antwort nicht freigegeben.

Ich fragte sicherheitshalber, weil Sie Merz‘ Amtsvorgänger Olaf Scholz so genannt haben. Und mit dem waren Sie sogar in einer Koalition … 
Antwort nicht freigegeben.

Also die Medien haben Schuld.
Antwort nicht freigegeben.

Und Sie haben sich dann bei Scholz entschuldigt.
Antwort nicht freigegeben.

Werden Sie sich auch bei Julia Klöckner entschuldigen?
Antwort nicht freigegeben.

Sie haben im Netz zu Klöckner geschrieben: „Wer nach außen korrupt ist, wird auch nach innen die eigene Partei und die Daten seiner Mitglieder versuchen zu verhökern.“ Sie halten also die Präsidentin des Deutschen Bundestag für korrupt?
Wir beschäftigen uns seit über einem Jahr mit der Union, den Maskendeals und beobachten auch die anscheinend enge Verbindung zwischen Julia Klöckner und Frank Gotthardt, dem Finanzier und Mehrheitseigentümer des ultrarechten Pseudo-Medienportals „Nius“. Da drängen sich Fragen auf. Warum gab es Gespräche, dass ausgerechnet dieser Unternehmer für die CDU die komplette Mitgliederkommunikation etc. übernehmen sollte? Dem Bericht von Michael Bröcker bei „Table Media“ zufolge wäre ein finanzielles Engagement Gotthardts als Mehrheitsgesellschafter praktisch gewesen, da die Kapitalspritze anders als Parteispenden nicht anzeigepflichtig wäre. Welche Rolle spielte dabei die damalige CDU-Schatzmeisterin Klöckner, die dieses Vorhaben laut Medienberichten vorantreiben wollte?

So macht man das in der Opposition

Das Geschäft kam 2023 nicht zustande. Sie raunen viele Fragen zur Möglichkeit einer Möglichkeit. Wo sind Ihre Belege?
Ja, wir stellen Fragen. Und wenn es auf die keine überzeugende Antwort gibt, fragt man weiter. So macht man das in der Opposition. An Friedrich Merz haben wir gerade mal wieder einen Katalog mit 90 Fragen zu den Maskenschäften geschickt.

Alles, was Sie da gerade gemutmaßt haben, ist nie passiert. Ist das nicht hart an der Grenze zur Verleumdung?
Falsch. Die Gespräche zwischen CDU und Gotthardt fanden ja offensichtlich statt. Wir Grünen wurden während der Ampel-Regierung noch viel rustikaler angefasst und einzelne grüne Politiker sehr viel stärker angegangen.

Es geht also um Rache?
Nein, es geht um das, was die Aufgabe von Opposition ist: Kontrolle. Jetzt tritt Julia Klöckner, die inzwischen ist, auf Veranstaltungen in Gotthardts Räumlichkeiten auf. Auch das wirft Fragen auf.

Sie war Gast. 
Sie hat die Veranstaltung auf Gotthardts Firmengelände stark aufgewertet. Als Bundestagspräsidentin ist sie die zweitmächtigste Person im Land. Und sie hat dort Medienberichten zufolge in ihrer Rede das Pseudomedien-Portal „Nius“ aufgewertet, indem sie es mit der nach journalistischen Standards arbeitenden „tageszeitung“ gleichsetzte. Das kann einen geldwerten Vorteil für Gotthardt bedeuten, weil hier ein Portal von Julia Klöckner aufgewertet wurde, das Gotthardt gehört.

Abgesehen davon, dass die „taz“ tatsächlich Grünen-affiner als „Nius“ ist: Meinen Sie das wirklich ernst?
Die „taz“ arbeitet nach journalistischen Standards, „Nius“ ist Julian Reichelts Meinungs-Schleuder ohne journalistische Qualitätsmerkmale.

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam

Wir fragten: Meinen Sie Ihre Vorwürfe ernst? Bisher wird weder Spahn noch Klöckner ermittelt. 
Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Aktuelles Beispiel: Erst jetzt, fünf Jahre nach der mutmaßlichen Tat, wurde Andreas Scheuer von der Staatsanwaltschaft angeklagt. Auch bei Scheuer wäre die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht möglich ohne die jahrelange Vorarbeit der Opposition, die Andi Scheuer und sein Maut-Debakel in einen Untersuchungsausschuss zwang und hier viele Ungereimtheiten aufdeckte. Demokratie funktioniert durch das Zusammenspiel der Gewalten – zu denen auch Qualitätsmedien gehören – die sich gegenseitig ergänzen. Jetzt erleben wir in der Maskenaffäre wieder, dass jede Information erkämpft werden muss. Wir und die Öffentlichkeit werden immer wieder angelogen. Der jetzt endlich aus dem Amt geschiedene Pressesprecher des Gesundheitsministeriums Kautz hat Journalisten gegenüber Unwahrheiten über Dr. Margaretha Sudhof verbreitet. Die Union diskreditiert lieber ihre Kritiker, statt die offenen Fragen zu beantworten. Damit scheitert sie, egal wie oft sie es noch versucht.

Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem früheren CSU-Verkehrsminister uneidliche Falschaussage vor …
Die Staatsanwaltschaft sieht ausreichend Hinweise, um nachzuweisen, dass Scheuer den Bundestag unter Eid angelogen hat. Als wir ihn damals immer weiter befragten, wurde uns natürlich auch eine Kampagne vorgeworfen worden. Aber wir sehen heute, dass wir wahrscheinlich richtig lagen.

Für Scheuer gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung. 
Natürlich. Aber der U-Ausschuss hat Vorarbeit geleistet für die jetzt erfolgte Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Deshalb fordern wir ja auch die SPD auf, gemeinsam mit uns und den Linken einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, um die Maskendeals aufzuklären.

Sie werden in diesem Zusammenhang Jens Spahn vor, die Interessen der Bürger zu verraten? Warum nicht gleich „Volksverräter“?
Ich habe im Bundestag gesagt: „Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wollen wissen, ob in der Krise, wenn es hart auf hart kommt, Jens Spahn einer ist, der ihre Interessen vertritt – oder verrät.“ Wenn Milliarden an Steuergeld aus dem Fenster geworfen werden – und wir wissen bis heute nicht, ob aufgrund von Größenwahn, Vetternwirtschaft oder anderen Gründen, die dann im Gesundheitssystem fehlen, dann ist das nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger im Land.

Ich lese Ihnen mal einen Satz aus einer Bundestagsdebatte vor: „Denn es wirft niemand Jens Spahn vor – nicht mal die ‚Bild‘-Zeitung übrigens spannenderweise –, dass diese ganzen Mauscheleien bei den Maskengeschäften eins zu eins dazu geführt haben, dass er plötzlich eine Villa in Berlin gekauft hat, nur drei Monate später.“ Was genau wollten Sie damit sagen? 
Es gibt ja viele Fragen, wie genau Spahn und sein Mann die inzwischen verkaufte Villa finanziert haben. Übrigens hat Jens Spahn zu mir gesagt, dass das keine Villa gewesen sei, denn: Als er da mit seinem Partner wohnte, habe der Besuch immer gesagt, dass die beiden ja gar keine richtige Auffahrt hätten, und ohne richtige Auffahrt sei das keine Villa, sondern ein Haus. Ich habe mir daraufhin sehr lang die Definition von „Villa“ angeschaut und die repräsentative Auffahrt gehört nicht zur Definition. Aber diese von Spahn selbst im Bundestag getätigte Aussage zeigt ganz gut, mit welchen Leuten er sich umgibt.  Spahn wurde nachvollziehbarerweise immer wieder gefragt, wie dieses Haus beziehungsweise diese Villa denn finanziert wurde. Daraufhin wurde verbreitet, dass für die Finanzierung das Vermögen des verstorbenen Vaters von Spahns Partner verwendet wurde. Recherchen zeigten dann aber, dass es solch ein Vermögen wohl nie gab. Auch da gilt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Die Glaubwürdigkeit von Spahn geht gegen null

Spahn und sein Mann dementieren, das mit der Finanzierung je behauptet zu haben. Und selbst wenn Sie recht hätten, heißt das, dass Spahn mit Profiten aus Maskengeschäften seinen Hauskauf finanzierte? Ist das der neue Stil der Grünen? 
Wie gesagt, die Glaubwürdigkeit von Spahn geht gegen null, wenn Sie mich fragen. Das kommunizieren wir klar und so, dass man es hört. 

Wir reden aber immer noch von der Union?
Anmerkung der Redaktion: Die Nachfrage bezog sich auf von Piechotta gestrichene Aussagen. Antwort nicht freigegeben. 

Er (der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom) kopiert satirisch den Stil des US-Präsidenten – und trollt zurück. Sie wollen also Gleiches mit Gleichem vergelten? 
Antwort nicht freigegeben.

Also bekommen wir jetzt neben dem rechten und linken Populismus auch den grünen Populismus?
Die Zeiten sind kompliziert, deshalb wählen die Menschen zunehmend Parteien mit einfachen Antworten. Wir Grünen waren aber schon immer die Partei mit komplizierten und detaillierten Antworten.  Wir müssen in diesen Zeiten noch klarer und verständlicher sprechen. Vor allem aber müssen wir die Deutungshoheit über uns selbst zurückerobern. Es muss aufhören, dass Markus Söder definiert, wie die Grünen angeblich sind. Das muss aufhören. Parteien, die nicht mit der Zeit gehen, über die geht die Zeit hinweg.