Von wegen faul, Herr Merz: Eine Befragung zeigt, dass viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit durchaus ausweiten würden. Dafür müsste aber die Regierung etwas tun.
Die Arbeitsmoral der Deutschen ist zuletzt in Verruf geraten. „Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, schimpfte Bundeskanzler Friedrich Merz – und unterstellte seinen Bürgern damit einen gewissen Hang zur Faulheit. Umfragen, die diesen Befund stützen, lassen sich problemlos finden. Wenn man die Leute fragt, ob sie gerne weniger Arbeit und mehr Freizeit hätten, sagen natürlich viele ja.
Man kann aber auch so fragen, dass das genaue Gegenteil herauskommt, wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beweist. Laut IW-Befragung können sich erstaunliche 77 Prozent der Beschäftigten eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit vorstellen – selbst solche, die schon Vollzeit arbeiten. Befragt wurden immerhin 5000 Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte. Die Umfrage ist laut IW repräsentativ für sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte.
Mehr Arbeitszeit – wenn mehr Netto hängen bleibt
Allerdings, und das ist die schlechte Nachricht für den Kanzler: Die Bereitschaft zur Mehrarbeit fußt nicht allein auf patriotischem Pflichtbewusstsein, sondern ist an handfeste Bedingungen geknüpft. Neben entsprechendem Lohnausgleich fordern die Befragten vor allem, dass auch mehr Netto vom Brutto im eigenen Geldbeutel hängen bleibt. 72 Prozent der Befragten nennen niedrigere Steuern und Sozialabgaben als wesentliche Voraussetzung dafür, dass sie ihre Arbeitszeit ausweiten.
Das gilt nicht nur für Minijobber, die bei einer Ausweitung ihrer Arbeitszeit überhaupt erst sozialversicherungspflichtig würden. Von den befragten Vollzeitbeschäftigten gaben sogar 74 Prozent an, sich bei niedrigeren Steuern und Sozialabgaben für noch mehr Arbeit begeistern zu können. Grafik Arbeitszeit
Der Ball läge damit wiederum beim Work-Life-Balance-Schmäher Merz und seiner Regierung. Denn die Sozialabgaben für Rente, Krankenkasse und Pflege werden in den kommenden Jahren sogar noch drastischer steigen, wenn die Politik nicht entschlossen gegensteuert. Und für echte Steuersenkungen fehlt auch das Geld, da helfen ein paar steuerfreie Überstunden, wie sie die Regierung plant, nicht viel weiter.
Politik und Arbeitgeber in der Pflicht
Auch die Arbeitgeber könnten laut der IW-Umfrage etwas tun, um die Menschen zu mehr Arbeit zu motivieren. 57 Prozent wären zu Mehrarbeit bereit, wenn sie mehr im Homeoffice oder mobil arbeiten könnten. 55 Prozent könnten mehr arbeiten, wenn sie sich die Arbeitszeit flexibler einteilen dürften. Und 47 Prozent würden dies tun, wenn sie interessantere Aufgaben oder mehr Verantwortung bekämen.
Weitere Punkte, die Mehrarbeit fördern würden, wären eine bessere Kinderbetreuung (39 Prozent), bessere Arbeitsatmosphäre (36 Prozent) und „wenn mein Partner mehr Verpflichtungen im Haushalt übernähme“ (35 Prozent). Mehrfachantworten waren möglich, wie das Zusammenrechnen der Prozentangaben leicht deutlich macht. Für viele Befragte müssten also mehrere dieser Bedingungen erfüllt sein, damit sie mehr arbeiten.
Besonders hoch ist die Bereitschaft, unter passenden Vorzeichen mehr zu arbeiten, bei den Jüngeren. Ansonsten aber sei sie „weitgehend unabhängig vom Geschlecht, der Branche, der Frage, ob es sich um eine Bürotätigkeit handelt, oder der beruflichen Qualifikation“, schreiben die IW-Experten Holger Schäfer und Oliver Stettes.
Die Ökonomen sehen in der Verlängerung der Arbeitszeit „eine der entscheidenden Maßnahmen für die Kompensation der unmittelbar anstehenden demografischen Schrumpfung“. Denn anders als viele andere Maßnahmen werde sie kurzfristig wirksam.
Politisch verordnet werden könne die Mehrarbeit zwar nicht, dennoch sehen die IW-Experten zuvorderst die Regierung am Zug. „Gefragt ist in erster Linie die Politik, denn viele Voraussetzungen für eine längere Arbeitszeit werden vom gesetzlichen Rahmen bestimmt.“ Eine Senkung der Abgaben mache Mehrarbeit attraktiv, weil sich das berufliche Engagement für den Einzelnen mehr lohne.