Aktenberge: Zehntausende offene Ermittlungen in Baden-Württemberg

Bei den baden-württembergischen Staatsanwaltschaften türmen sich die Akten. Richter und Staatsanwälte schlagen erneut Alarm. Auch wenn der Aktenberg zuletzt etwas abgetragen wurde.

Eine Fahrerflucht, ein Nacktfoto im Schülerchat, ein Ladendiebstahl oder eine Prügelei: In den Akten der baden-württembergischen Staatsanwaltschaften stapeln sich die Fälle, doch Zehntausende sind noch nicht entschieden. Täter warten auf ihre Urteile, Unschuldige auf Entlastung, Verfahren auf Abschluss. Alles liegt in den hohen Aktenbergen, die sich in den Büros der Staatsanwälte türmen. Zwar schrumpft der Stapel inzwischen leicht – hoch bleibt er trotzdem.

Zum Stichtag Ende Juni waren landesweit noch mehr als 76.700 Verfahren offen. Ende 2024 waren es über 79.200, im Jahr davor sogar mehr als 82.100. Damit geht der Trend in Baden-Württemberg leicht nach unten – entgegen der Entwicklung im Bund. Dort stieg die Zahl offener Verfahren auf knapp 964.000, rund 13.000 mehr als beim bisherigen Rekord Ende 2024, wie aus einer Umfrage der Deutschen Richterzeitung bei den Landesjustizministerien hervorgeht.

So sieht der bundesweite Trend aus

Bundesweit zeichnet sich laut dem Richterbund in vielen Bundesländern keine Entspannung ab: Am schnellsten wuchs der Stapel der Strafakten in Hamburg. In der Hansestadt hat sich der Stapel an Strafakten seit 2021 fast verdreifacht: von 22.900 Fällen Ende 2021 auf rund 64.400 zur Jahresmitte 2025 – ein Plus von 181 Prozent. Auch Sachsen verzeichnet mit 54 Prozent Zuwachs eine besonders dynamische Entwicklung. Die bundesweit höchste Zahl meldet Nordrhein-Westfalen mit knapp 267.000 offenen Verfahren, fast 40 Prozent mehr als Ende 2021.

„Im Ergebnis ziehen sich viele Strafverfahren in die Länge und Verfahrenseinstellungen nehmen zu“, warnte der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn.

Viele Verfahren werden schnell wieder eingestellt

Während die Staatsanwaltschaften versuchen, die angehäuften offenen Verfahren zu erledigen, sammeln sich Tag für Tag zahllose neue Fälle an. Laut Verband blieb auch die Zahl neuer Verfahren bei den baden-württembergischen Staatsanwaltschaften auf hohem Niveau, sie dürfte aber im Jahresvergleich insgesamt etwas sinken. 

In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben die Ermittler in Baden-Württemberg fast 291.400 neue Verfahren gegen namentlich bekannte Tatverdächtige registriert. Die weitaus meisten werden aber schnell wieder eingestellt, etwa wegen zu schwachen Tatverdachts, geringer Schuld oder erfüllter Auflagen. Im gesamten vergangenen Jahr gab es etwa 595.700 Verfahrenseingänge, also mehr als doppelt so viele wie im ersten Halbjahr dieses Jahres. 

Ministerin: Mehr Stellen, weniger offene Verfahren 

Darin liegt aus Sicht der baden-württembergischen Justizministerin, Marion Gentges, auch der Grund für die Bugwelle an Verfahren: „Das nach wie vor hohe Niveau an offenen Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften in Baden-Württemberg beruht maßgeblich auf dem Anstieg der Verfahrenseingänge der vergangenen Jahre“, sagte die CDU-Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings sei das Personal in den Staatsanwaltschaften auch erheblich ausgebaut worden – und es solle weiter verstärkt werden. 

Nach Angaben von Gentges werden die neuen Stellen gezielt in Bereichen eingesetzt, die von Verfahrensanstiegen besonders betroffen sind. Dazu gehören Verfahren zu Straftaten nach dem Asylgesetz, zur Verbreitung pornografischer Inhalte, zu Geldwäsche sowie zu Diebstahl und Unterschlagung. 

Verfahren in Stuttgart dauert 56 Tage 

Die Ermittler müssen in jedem Verfahren entscheiden, ob sie Anklage erheben oder einstellen – eine Frist dafür gibt es nicht. Die Umfrage des Richterbundes erfasst dabei nur Verfahren mit namentlich bekannten Beschuldigten, sogenannte Js-Verfahren. 

Sind die Fälle einfach, so kann die Staatsanwaltschaft sie in wenigen Wochen bis Monaten abschließen. Komplexe Verfahren hingegen, insbesondere mit internationalen Bezügen oder großen Datenmengen, können auch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Ein Beispiel: Die württembergischen Staatsanwaltschaften arbeiteten im Jahr 2023 durchschnittlich etwas mehr als 56 Tage an einem Verfahren – Tendenz steigend.

Richterbund fordert neue Stellen in der Justiz 

Anlässlich der Zahlen fordert der Deutsche Richterbund eine schnelle Zusage der Länder für neue Stellen in der Justiz. Erst dann könnten die von der Bundesregierung zugesagten 450 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln fließen. „Die Strafjustiz darf nicht zum Flaschenhals bei der Kriminalitätsbekämpfung werden.“