Ermittlungen: „Unendliche Leere“: Tod von 16-Jähriger wirft Fragen auf

Ein abgelehnter Asylantrag und psychische Auffälligkeiten: Ein 31-Jähriger soll eine 16-Jährige am Bahnhof in Friedland in den Tod gestoßen haben. Wie konnte es dazu kommen?

Zwischen Trauer und Aufarbeitung: Der Tod einer 16-Jährigen am Bahnhof Friedland in Niedersachsen macht viele Menschen fassungslos und wirft weiter Fragen auf. Eine besonders heikle: Wieso war der dringend tatverdächtige 31 Jahre alte Iraker zum Zeitpunkt der Tat überhaupt noch in Deutschland? Am Donnerstag will Niedersachsens Innenministerium den zuständigen Landtagsausschuss über den Fall informieren, wie ein Ministeriumssprecher ankündigte.

Der 31-jährige Iraker soll das 2022 mit seiner Familie aus der Ukraine geflüchtete Mädchen am Nachmittag des 11. August gegen einen mit Tempo 100 durchfahrenden Güterzug gestoßen haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Göttingen sind DNA-Spuren des Mannes an der Schulter des Opfers gefunden worden. Der Beschuldigte wurde per Unterbringungsbefehl in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.

„Das Schlimmste, was in einem Leben passieren kann“

In einem bewegenden Spendenaufruf erinnert die thüringische Gemeinde Geisleden an das Mädchen, das dort nach ihrer Flucht aus der Ukraine mit ihrer Familie gelebt hatte. „Sie ermutigte und unterstützte ihre Eltern, war fleißig und eine gute Schülerin“, heißt es darin. Erst vor einigen Wochen habe das Mädchen ihren Schulabschluss gemacht und anschließend eine Lehre zur Zahnmedizinischen Fachangestellten begonnen. Täglich pendelte sie demnach mit dem Zug zwischen ihrem Zuhause und der Ausbildungsstätte in Friedland.

Bis zu dem Tag, der das Leben der ganzen Familie erschüttert habe: „Die Eltern erlebten das Schlimmste, was in einem Leben passieren kann.“ Mutter und Vater seien am Boden zerstört, ihre kleinen Brüder verstünden nicht, warum ihre große Schwester nicht mehr nach Hause kommt. „Es ist nur dieses kalte Gefühl und die schier unendliche Leere.“

Mit der Spendenaktion für die Beerdigung der 16-Jährigen wurden bis Montagnachmittag laut Webseite rund 17.000 Euro gesammelt.

Amtsgericht lehnte Abschiebehaft vor wenigen Wochen ab

Der verdächtige Iraker hatte im August 2022 bei einer Kontrolle durch die Bundespolizei in Braunschweig ein Asylbegehren geäußert. Der Antrag wurde im Dezember 2022 aber abgelehnt und eine Abschiebung nach Litauen angeordnet. Dagegen klagte der Mann – erfolglos. Das Verwaltungsgericht Göttingen wies seine Klage im Februar 2025 zurück. Seit dem 18. März 2025 war die Abschiebeanordnung nach Litauen daraufhin vollstreckbar.

Als der 31-Jährige im Juli dieses Jahres eine 20-tägige Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Hannover verbüßte, da er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, beantragte die Ausländerbehörde Abschiebehaft. Das Amtsgericht Hannover lehnte diese aber ab, weil die Landesaufnahmebehörde den Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr nicht ausreichend begründet und dem Betroffenen keine Ausreisefrist gesetzt habe.

Am Tattag hatte der Mann laut Staatsanwaltschaft schon vor dem Vorfall psychische Auffälligkeiten gezeigt. In der Vergangenheit sei bei ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Die Polizei war zunächst jedoch von einem Unglück ausgegangen.

CDU: „Dann stellen sich schwerwiegende Fragen“

In der Politik werden derweil die Stimmen lauter, die auf eine schnelle Aufarbeitung dringen. „Die Innenministerin muss im Innenausschuss umfassend darlegen, warum die seit März bestehende Möglichkeit zur Abschiebung nicht umgesetzt wurde“, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Fraktion, Carina Hermann, der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. „Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, dann stellen sich schwerwiegende Fragen an die rot-grüne Landesregierung.“

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte bereits am Freitag gesagt, der Fall zeige einmal mehr die massiven Probleme des Dublin-Verfahrens, das die Verteilung von Asylbewerben in Europa regelt. Der Verdächtige hätte gar nicht mehr in Deutschland sein sollen. „Es ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar, dass sich Personen jahrelang in Deutschland aufhalten, obwohl ein ganz anderer EU-Staat für sie zuständig ist.“

Die Unterrichtung des Landtagsausschusses am Donnerstag wird Behrens dem Vernehmen nach voraussichtlich nicht selbst vornehmen.

Grüne: Rechtsextreme wollen Fall ausnutzen

Die für die Region zuständige Grünen-Landtagsabgeordnete Pippa Schneider sagte, ihre Gedanken seien bei den Hinterbliebenen der 16-Jährigen: „Sie haben ein Recht auf Aufklärung und Raum für ihre Trauer.“ Umso beschämender sei es, dass Rechtsextreme versuchten, den Tod des Mädchens zu instrumentalisieren. „Mit aller Schärfe verurteilen wir ihren Versuch, aus einem grausamen Verbrechen politisches Kapital zu schlagen.“