Ein Polizist stirbt im Einsatz. Viele Beamtinnen und Beamte denken an ähnliche Vorkommnisse in Kusel und Mannheim. Sie stellen sich der Gewerkschaft zufolge die Frage: Warum mache ich das eigentlich?
Der Tod des 34 Jahre alten Polizeioberkommissars Simon B. im saarländischen Völklingen hat bundesweit Trauer und Entsetzen ausgelöst – auch innerhalb der Sicherheitskräfte. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigt sich erschüttert von der Tat. Sie erinnert an zunehmende Gewalt gegen Uniformträger und fordert mehr Unterstützung der Politik.
„Wir im Saarland sind eine kleine Polizeifamilie“, sagt Polizeihauptkommissar und GdP-Landesvorsitzender Andreas Rinnert. „Man kennt sich – und viele kannten Simon.“ Der Polizist hatte am Donnerstag nach einem Raubüberfall auf eine Tankstelle mit zwei Kollegen einen flüchtenden Mann zu Fuß verfolgt. Als sie den Verdächtigen festnehmen wollten, entriss der 18-Jährige laut Polizeiangaben einem der Beamten die Dienstwaffe und schoss. Simon B. starb wenig später in einer Klinik.
Kusel. Mannheim. Völklingen.
Es ist ein weiterer tödlicher Angriff auf Polizeikräfte innerhalb weniger Jahre, der im Südwesten Schlagzeilen macht. Erst erschoss ein Wilderer zwei Polizisten bei Kusel, dann starb ein Beamter auf dem Mannheimer Marktplatz. Jetzt Völklingen. Der Satz, den laut Rinnert viele Polizistinnen und Polizisten im Kopf haben, lautet: Das hätte vielleicht genauso ich sein können.
„Ich weiß von mehreren Kolleginnen und Kollegen, die noch am Abend der Tat kritische Gespräche mit ihren Partnerinnen und Partnern führen mussten. Dann fragt man sich konkret: Warum mache ich das eigentlich?“, schildert Rinnert.
„Die Angriffe werden härter“
Schmerz und Trauer sind auch im benachbarten Rheinland-Pfalz groß. Aline Raber, GdP-Landesvorsitzende, erinnert an die saarländischen Polizisten Yasmin und Alexander, die 2022 bei Kusel in der Westpfalz getötet wurden. Die Bilder von damals sind noch präsent – jetzt kommen neue dazu.
„Unsere Kolleginnen und Kollegen sind tief getroffen“, sagt Raber. „In der täglichen Arbeit wird immer deutlicher: Das Risiko steigt, die Angriffe werden härter.“ Raber berichtet von psychischen Langzeitfolgen. „Manche tragen die Belastungen über Jahre mit sich. Einige haben den Dienst sogar aufgegeben.“
„Prügelknabe der Nation“
Erika Krause-Schöne, Bundesfrauenvorsitzende der GdP, kennt die Angriffe. Vor allem die auf Polizistinnen. Früher sei die Uniform Schutzschild gewesen, heute sei sie eher Zielscheibe. Sie berichtet von verbalen Attacken, sexualisierten Beschimpfungen. „Wir werden beleidigt, bedroht, auf unser Äußeres reduziert.“
Besonders aus bestimmten Milieus erfahre man Ablehnung. „Ich komme dich besuchen und zeige dir, wer hier der Mann ist“ – das höre man im Dienst. In der Gesellschaft sei das Bild der Polizei als Prügelknabe der Nation verfestigt, meint Krause-Schöne. „Statt Unterstützung bekommen wir Mitleid.“
Die Jungen verlieren das Vertrauen
Jennifer Otto, Bundesjugendvorsitzende der GdP, spürt Verunsicherung beim Nachwuchs. „Viele fragen sich: Was sage ich meinen Eltern? Wie sicher bin ich in meinem Beruf?“ Sie fordert Verlässlichkeit im Ernstfall und „eine Kultur, die die Sicherheit und Gesundheit der Einsatzkräfte in den Mittelpunkt stellt“.
„Wir trauern um unseren Kollegen. Die Häufung solcher Taten macht uns nachdenklich und verunsichert – umso wichtiger ist, dass wir als Polizeifamilie zeigen: Niemand von uns steht allein“, betont Otto.
Auch Polizeihauptkommissar Jan Krumlovsky ist von den Ereignissen in Völklingen erschüttert. „Jeder Tod ist sinnlos. Hätte er vermieden werden können… es ist abermals so unendlich traurig“, sagt der GdP-Landesvorsitzende Sachsen. „Ich fange jetzt nicht an, dass wir einen gefährlichen Beruf haben. Aber das sich immer wieder zu vergegenwärtigen, ist wichtig und verschwimmt leider mit der Routine des Alltags.“
Hohn in sozialen Netzwerken
Ewald Gerk, pensionierter Polizeihauptkommissar aus Hessen, blickt mit schwerem Herzen auf die aktuelle Lage. „Als ich in den 1970er Jahren begann, haben wir uns keine Gedanken gemacht über mögliche Gefahren“, sagt er. Heute sei das anders. Gerk hält dennoch am Beruf fest. „Ich würde es wieder tun“, sagt er. Trotz vieler Ärgernisse sei Polizist „einer der schönsten Berufe“.
In Niedersachsen spürt der GdP-Landesvorsitzende Kevin Komolka, dass etwas kippt. „Der Respekt nimmt ab“, sagt der Polizeihauptkommissar. „Oft werden Staatsvertreter als Schuldige gesehen.“ Die Verrohung nehme zu – nicht nur auf der Straße, sondern auch digital. „Wir blicken mit Trauer ins Saarland und mit Wut im Bauch über die Verhöhnung unseres Kollegen in den sozialen Medien.“
Ohnmacht macht sich breit
Auch in Bayern, sagt der dortige GdP-Chef Florian Leitner, sei man tief getroffen. „Tödliche Angriffe wie im Saarland belasten die Polizeifamilie, Ohnmacht macht sich breit, eine gewisse Unsicherheit fährt mit auf Streife.“ Die Politik müsse endlich den Wert der Inneren Sicherheit erkennen, fordert er.
„Sie muss in die beste Ausrüstung und in eine zeitgemäße personelle Ausstattung investieren und aufhören, sich hinter dem Datenschutz zu verstecken – sondern der Polizei das nötige Werkzeug an die Hand geben.“
Kopelke: „Wann wird endlich gehandelt?“
GdP-Bundeschef Jürgen Kopelke bringt die Sorgen auf den Punkt. Seit Jahren fordere er bessere Versorgung, rechtliche Klarheit, mehr Fürsorge für Einsatzkräfte – doch viel bewege sich nicht. „Der Tod in Völklingen reißt alte Wunden auf“, sagt er. „Und wieder fragen wir: Wann wird endlich gehandelt?“
Zwar sei auf Druck der GdP inzwischen ein Härtefallfonds beschlossen, auch sei ein Gutachten in Arbeit, das die ungleichen Fürsorgeansprüche der Länder verfassungsrechtlich prüfen soll. Doch die Zweifel bleiben. „Die Politik lässt uns zu oft allein“, sagt Kopelke. „Vielleicht rüttelt dieser Tod endlich wach.“