Verklärt Micky Beisenherz den eigenen Papa rückblickend? Möglich! Eines weiß er dennoch sicher: Dieser Mann ist der Klempner seines Lebens.
Da sitzen meine Eltern also auf der Terrasse auf den weißgelben Polstern und lachen Tränen. Ein schöner Einstieg in Paps‘ 81. Geburtstag. Gerade eben hat mein Freund Oli unter der Nummer meiner Mama angerufen, um zu gratulieren. Da Oli Polak aber so ähnlich klingt wie der Name eines ehemaligen Angestellten, nahm mein etwas schwerhöriger Vater an, ein ehemaliger Klempnergeselle hätte bei seinem alten Chef angerufen. Es entsponn sich ein obskures Geflecht aus Plattitüden („Ah, einer aus der alten Truppe!“ „Und was macht der Rücken?“), die mein Freund nur schwer zu wechseln wusste. Wie diese schön missglückten Live-Schalten im Fernsehen, wenn ein Professor für Astrophysik auf Sendung ist, der sich zufälligerweise mit einem Pferdezüchter den gleichen Namen teilt und sich nun durch ein Interview mit Marietta Slomka bluffen muss.
Was bleibt, ist ein guter Lacher und die Erkenntnis, dass sich die Beschwernisse des Alters mit Humor am besten hinnehmen lassen. Den trockenen Humor hat mein Vater von seiner Mutter, meiner Omma Hilde. (Die hat auch immer in die Stille hinein ganz trocken einen abgefeuert.) Dazu ein Gemüt, bei dem die Amplitude selten allzu heftig nach oben oder unten ausschlägt. Er klagt so gut wie nie, er heult nicht vor Glück bei Geschenken. Er nimmt’s hin. Früher, als Jugendliche, haben mein Bruder und ich unseren „Vadder“ gerne liebevoll verspottet, mit den dünnen Beinen und den Kohlrabi-Knien aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit „Udo Lattek“ gerufen.
Micky Beisenherz erinnert sich an die Sonntage mit seinem Vater
Dreißig Jahre später blicke ich auf Fotos, auf denen er so alt war wie ich jetzt, und denke: Scheiße. Da ist erschreckend viel Ähnlichkeit. Auch im Wesen? Eine gewisse aspergersche Veranlagung, die das Leben gerne gleichförmig und in festen Betriebsabläufen weiß, tragen er und seine fünf Brüder (von denen er und zwei andere noch leben) alle in sich. Strukturen braucht der Mann, weiß Gott. Deshalb könnte ich relativ genau sagen, was er an einem Dienstagabend im Mai 1992 gemacht hat, genauso wie an einem Samstagmittag im September 2012.
Es waren Frauen wie meine Mama, die ihnen ein wenig Spontaneität ein- und die Verbeamtung des Seins ausgetrieben haben. Hätte ich beruflich und privat nicht so einen heftigen Flirt mit dem Chaos angefangen, wer weiß: Diese Veranlagung wäre womöglich noch durchgeschlagen.
Zu den schönsten Momenten mit meinem Papa zählen die Sonntage, an denen ich als Kind mit ihm zum Modellflugplatz geradelt bin. Meine Mama rollt heute noch mit den Augen beim Gedanken daran, dass das nahezu jeden Sonntag passiert sein soll. Die Erinnerung ist ein Bob Ross, der uns die tollsten Bilder in unser Album malt. Wahrscheinlich waren es insgesamt höchstens drei Male, aber mein Gehirn streckt die auf eine komplette Kindheit. Wie nahezu alle berufstätigen Väter in den 80ern entfielen ca. neun Prozent der Care-Arbeit auf ihn. Den Rest haben meine nicht weniger berufstätige Mama oder Omma übernommen. In ihren ersten zwei Lebensjahren hab’ ich mit meiner Tochter vermutlich mehr unternommen als mein Vater mit mir in den ersten zwanzig. Wurscht.
Woran ich mich mit warmen Gefühlen erinnere: Zu zweit Pommes essen auf einem Felsen im Sommerurlaub mit Blick aufs Mittelmeer. Die „Rennfahrersuppe“, die er uns Kindern gemacht hat, in dem Bungalow in Scharbeutz. Die zahllosen Disco-Chauffeurdienste, wenn mein Cousin Tömmes und ich mal wieder feiern wollten. (Noch heute fährt er mich mit dem alten Lada nach Dortmund zum Stadion). Und natürlich die vergeblichen Versuche, mit fuchtelndem Zeigefinger aus mir einen guten Schüler zu machen. Hat nur so halbautomatisch geklappt. Dafür hat er aus mir einen glücklichen Menschen gemacht.
„Ich habe mich immer geliebt gefühlt“
Okay, zum Papa in einer ZDF-Vorabendserie hätte es wohl nicht gereicht. Er war ein durchschnittlich begabter Pädagoge und sicherlich auch kein Zampano, der nur auf runde Geburtstage wartete, um in langen Reden von seinen Heldentaten zu berichten. Ich habe mich immer geliebt gefühlt, immer gewusst, dass ich gut bin, wie ich bin. Je älter ich werde, desto mehr wird mir klar, wie selten es ist, einen Vater zu haben, der Anstand hat, einen guten moralischen Kompass, der verlässlich ist. Humor hat. Selbstironie.
Nie wurden mir Vorstellungen aufgedrückt, wie ich zu werden habe. Anwalt, Architekt, Doktor. Solche Berufe sind mir vielleicht in gemeinsamen Fernsehabenden begegnet. Nie als Erwartungshorizont, der sich dunkel hinter meinem Abitur aufgebaut hat. Wie erdrückend manche Väter doch sein können. Hat mein Papa meinen Musikgeschmack geprägt? Hat er mir einen guten Film gezeigt? Ein Lieblingsbuch? Ich wüsste es nicht. Ist das wichtig? Über die Zechenkultur im Pott und den Nationalsozialismus haben wir viel geredet. Und die Weltmeistermannschaft von 1974. Mein Redeanteil als 1977 Geborener war aber eher gering. Micky Beisenherz unterwegs mit seinem Vater Klaus
© Beisenherz
Die popkulturelle Bildung habe ich von meinem großen Bruder. (Die körperliche Züchtigung ebenfalls.) Der sich wie ich die ewig gleichen Geschichten meines Vaters anhören musste, wie er 1959 bei einer Radtour mit seinen Freunden durch die ausgetrocknete Edertalsperre gefahren ist. Damals haben wir entkräftet abgewinkt. Heute bin ich froh, dass er uns das alles noch erzählen kann.
Mit 81 stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Körper nochmal die TÜV-Plakette bekommt. Größere oder kleinere Defekte verringern den Radius. Jeder Ort wird auf Niedrigschwelligkeit abgeklopft, der zu erwartende Spaß hat sich hinter dem Risiko anzustellen. Er nimmt es hin. Es ist nicht so lange her, da hat es ihn mal kurz hingehauen. Die Sanitäter kamen und mussten ihn mitnehmen, trugen ihn auf einer Art Sänfte sitzend aus dem Haus. „Du sitzt da wie der Papst“, sagte irgendwer von uns. Mein Neffe, meine Schwägerin, Mama oder wer auch immer in diesem Drei-Generationen-Haus die angespannte Stille brach. Mein Vater, schwer benommen und kaum zurechnungsfähig, blickte uns von seiner exponierten Position aus leeren Augen an – und segnete uns.
In diesem so verletzlichen Moment hat er so sehr gewonnen. Mit diesem blitzsauberen Gag in einer solch beschissenen Situation mit Humor die Würde zu wahren. Vorbildlich. Bewundernswert. Er erinnert sich nicht daran. Die Medikamente.
Es gibt diese Anekdote, dass er damals bei meinem Grundschullehrer saß, der mahnte, dass ich leider nicht mein Bruder sei und sensibler gemacht werden müsse für das Wesentliche. Mein Vater entgegnete nur, dass er gar nicht vorhabe, mich zu ändern.
„Der gefällt mir so, wie er ist.“
Meine Mama behauptet, dass sie das damals gesagt habe und nicht er.
Ich traue es ihm aber zu.
Er gefällt mir nämlich auch so, wie er ist.
Happy Birthday, Papa.