Gerichtsverfahren dauern immer länger und werden komplexer. Ministerin Kerstin von der Decken setzt auf Digitalisierung als Lösung. Doch es gibt noch weitere Möglichkeiten.
Die Arbeit in der Justiz wird immer anspruchsvoller, Verfahren ziehen sich in die Länge – eine Lösung dafür sieht Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) in der Digitalisierung. „Die Gerichtsverfahren und Ermittlungsverfahren werden zunehmend digitaler“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Die E-Akte sei dabei nur der Anfang. Solche digitalen Akten müssten durch elektronische Systeme durchsuchbar sein, um etwa bei komplexen Fällen mit vielen Klägern Unterschiede sofort sichtbar zu machen. Dies könne Stunden an Arbeit einsparen. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist möglich und laut von der Decken „nur auf den ersten Blick heikel“.
„Denn Künstliche Intelligenz darf und wird keine Entscheidungen treffen“, erklärte die Ministerin. „Ein Mensch, in der Regel der Richter, muss immer die Entscheidung fällen. Aber für die vorbereitenden und nachbereitenden Tätigkeiten brauchen wir zunehmend digitale Lösungen und dabei kann auch Künstliche Intelligenz Richterinnen und Richter unterstützen.“
Mediation statt Gerichtsurteile
Ebenso könne Mediation laut der Justizministerin in manchen Fällen Urteile ersetzen und Verfahren verkürzen. Ein typisches Beispiel sei ein Nachbarschaftsstreit: „Sie können den Streit vor Gericht ziehen, dann das Urteil anfechten, was sehr lange dauert, dann erneut anfechten – und so weiter“, erklärte sie.
Stattdessen könne man versuchen, eine Mediation einzuleiten, mit dem Appell: „Liebe Leute, versucht euch doch mal zu einigen.“ Das sei jedoch nicht bei jeder Rechtsfrage möglich. Dennoch gebe es in der Justiz eine Tendenz, die auch das Land unterstütze: Mediation solle häufiger zum Einsatz kommen.
Reform der Strafprozessordnung
Die schwarz-rote Bundesregierung plant laut Koalitionsvertrag, eine Reformkommission einzusetzen, um die Strafprozessordnung zu überarbeiten. „Diese sehr alte Strafprozessordnung wird dann angeschaut und überlegt: Sind all die darin enthaltenen Schritte noch zeitgemäß?“, erklärte von der Decken.
Eine Reform könnte möglicherweise Verfahren beschleunigen, ohne die Anforderungen des Rechtsstaats zu gefährden. Schleswig-Holsteins Justizministerin setzt große Hoffnungen in die Reform – doch die Kommission hat ihre Arbeit bisher nicht aufgenommen.
Warum Prozesse länger werden
„Das Problem, dass die Verfahren länger werden und die Justiz immer mehr Arbeit bekommt – das ist ein Phänomen, das in der gesamten Bundesrepublik vorkommt“, sagte sie. Die Gründe für die Verzögerungen sind vielfältig: Immer häufiger führen Massenverfahren zu enormem Arbeitsaufwand. „Es kommt vor, dass es tausende Klagen zur gleichen Sache gibt, jedoch muss jede einzeln bearbeitet werden“, erklärte von der Decken.
Zudem nehmen Verfahren zu Straftaten im Internet zu. „Gerade Betrugsmaschen laufen vielfach übers Internet und das ist dann nicht nur eine Person, die diese durchführt, sondern meistens sind es Gruppen von Menschen“, erklärte die Ministerin. Hinzu komme, dass solche Taten oft über Staatsgrenzen hinweg erfolgen, da Server weltweit vernetzt sind. Ebenfalls könne sich auch die Anzahl der Geschädigten dadurch schnell deutlich erhöhen.
Ein weiteres Problem sieht von der Decken bei Verfahren wie denen zu Kinderpornografie: Hier müssen Datenträger mit riesigen Datenmengen ausgewertet werden. „Man muss alles sichten und durchforsten – das kostet Zeit“, sagte sie. All das mache die Verfahren immer komplexer.
Anzahl der Verfahren steigt
Die Zahl der Eingänge bei den Staatsanwaltschaften stieg von 2021 bis 2023 deutlich an, teilte das Justizministerium im Juni in einer Antwort auf eine große Anfrage der FDP-Fraktion mit. Die Verfahren wuchsen von knapp 169.000 auf fast 193.000 pro Jahr.
Dieses hohe Niveau hielt auch 2024 an, hieß es weiter. An Schwurgerichten verdoppelte sich etwa die durchschnittliche Zahl der Hauptverhandlungstage von 228 im Jahr 2020 auf 451 im Jahr 2024. Große Strafkammern verzeichneten demnach 2020 im Schnitt 483 Verhandlungstage, 2024 waren es bereits 893.