Meinung: Jette Nietzard geht – (mindestens) ein Problem der Grünen bleibt

Viele Grüne dürften erleichtert sein, dass Jette Nietzard nicht erneut kandidiert. Doch ein Problem der Grünen zeigt sich ausgerechnet im Umgang mit der Jugend-Chefin.

Nicht wenige Grünen-Politiker dürften an diesem Dienstag erleichtert aufatmen: Jette Nietzard will künftig nicht mehr an der Spitze des grünen Jugendverbands stehen. Sie zieht damit die Konsequenz aus der andauernden Kritik, die ihr entgegenschlug – insbesondere aus der eigenen Partei.

Ihre Entscheidung, im Oktober nicht erneut als Bundessprecherin für die Grüne Jugend zu kandidieren, sei der „Weg des geringsten Widerstands“, sagt sie in einem Video, das sie auf ihrem Instagram-Profil hochlud, aber auch der Weg, wie der Jugendverband weiter mit der Mutterpartei zusammenarbeiten könne. Schon seit einiger Zeit sei klar, dass sie keine Zukunft „in diesem Bundesvorstand“ haben könne, sagt Nietzard. 

Nietzard trat viele Empörungswellen los

Nur ein Jahr wird die 26-Jährige dann an der Spitze der Grünen Jugend gestanden haben – eine Zeit, in der sie häufig die gesellschaftlichen Gemüter erregte. Etwa, als sie nach Silvester postete, dass Männer, die ihre Hand beim Böllern verlören, „zumindest“ keine Frauen mehr schlagen könnten; als sie in einer Debatte um Belästigungsvorwürfe gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar in Frage stellte, ob die Unschuldsvermutung in einer Partei gelten müsse; als sie einen Pullover mit der Aufschrift „ACAB“ trug. Das „Enfant Terrible“ zieht zurück. Was bleibt? 

Ginge es um reine Aufmerksamkeit, hätte Jette Nietzard in ihrem Jahr als GJ-Chefin einiges erreicht. Wer erinnert sich noch an ihre beiden Vorgängerinnen im Amt, oder wer weiß den Namen ihres Co-Sprechers? Bei Nietzard ist das anders: Vieles was sie sagte oder tat, füllte tagelang die Feeds in den sozialen Medien, beschäftigte die Journalistinnen und Journalisten des Landes, die politische Konkurrenz und die eigene Partei. 

Es war verhältnismäßig einfach für sie, mit ultrafeministischen, polizeikritischen, oder sehr linken Positionen politische Empörungswellen loszutreten – und oft wusste sie, die sich auch mal als linksradikal bezeichnet oder eine Cap mit der Aufschrift „Antifa-Lover“ trägt, ganz genau, was auf ihre Aussagen folgen würde. 

Sie bewegt sich schließlich im politischen Raum: Während es in der Popkultur inzwischen viele junge Frauen gibt, die ihrer „female rage“ in Songs Ausdruck verleihen, konnte Nietzard erleben, wie sie damit für Empörung sorgt (O-Ton Nietzard: „Warum sollten Frauen bei Männern in Heterobeziehungen bleiben, wenn sie 30 Prozent weniger zum Orgasmus kommen?“)

Viele Grüne finden, dass sie der Partei vor allem schadet

Die Kritik aus den eigenen grünen Reihen war dabei oft besonders harsch. Etwa als sie den Rückzug des FDP-Chefs Christian Lindner damit kommentierte, dass sie sich freue, „dass der Mann von Franca Lehfeldt jetzt kürzer tritt um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen“. In Hintergrundgesprächen auf sie angesprochen, verdrehten viele Abgeordnete nur die Augen. Nachdem sie sich in einem Pullover mit der Aufschritt „ACAB“ zeigte, wurde ihr von den Baden-Württemberger Realos Winfried Kretschmann und Cem Özdemir der Parteiaustritt nahegelegt. 

Etliche Grüne sind relativ rasch nach Nietzards Amtsantritt zu der Überzeugung gelangt, dass sie der Partei vor allem schade. Die Sorge: dass sie den Konservativen jeden Grund liefert, sich bestätigt zu sehen, jenen, die sowieso immer betonen, dass sich hinter einer anständigen, bürgerlichen Fassade der Grünen das Radikale verberge, das Ideologische, das Rechthaberische, das Verbieten-Wollen.

Mit dieser Argumentation zeigen die Grünen, dass für die Partei (mindestens) ein Problem auch nach Nietzards Rückzug bleibt. In ihrer Beschäftigung mit der Niederlage bei der Bundestagswahl kommen nun viele zu dem Schluss, dass man zu wenig wehrhaft gewesen sei, wenn der Gegenwind kam. Als der damalige Kanzlerkandidat Robert Habeck vorschlug, Kapitalerträge für die Finanzierung der Sozialversicherung miteinzubeziehen, war der Aufschrei groß – die Grünen zogen sich eher zurück, anstatt die Idee offensiv zu verteidigen. 

Jetzt wollen sich viele Grüne wieder dessen vergewissern, dass man mit der eigenen DNA eben für Veränderung stünde – das fängt schon bei Maßnahmen zum Klimaschutz an, oder beim Eintreten für die Rechte von Minderheiten. Veränderungen aber sind in einer Gesellschaft naturgemäß schwierig durchzusetzen, die Beharrungskräfte sind stark. Die Grünen müssten sich auf Gegenwind einstellen. Selbst wenn man Nietzards Positionen nicht teilt, zieht der Umgang mit ihr in Zweifel, ob die Partei das wirklich durchziehen würde.