Uralter Streit eskaliert: Schwere Kämpfe an Grenze zwischen Thailand und Kambodscha

Zwischen Thailand und Kambodscha brodelt schon lange ein Grenzkonflikt. Jetzt ist der Disput dramatisch eskaliert – samt des Einsatzes von Kampfjets. Worum streiten die Nachbarn?

Ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha ist gefährlich eskaliert: Nach einem heftigen Schusswechsel an der Grenze am Morgen hat das thailändische Militär eigenen Angaben zufolge Kampfjets gegen kambodschanische Stellungen eingesetzt. In Thailand wurden Todesopfer und Verletzte durch kambodschanisches Artilleriefeuer gemeldet. Die südostasiatischen Nachbarn werfen sich gegenseitig vor, die Eskalation ausgelöst zu haben. 

Worum geht es?

Beide Länder trennt eine mehr als 800 Kilometer lange Grenze. Die Wurzeln des Konflikts liegen in der Kolonialzeit, als Frankreich den Grenzverlauf festlegte. Die Regierungen beider Nationen interpretieren diese Grenzziehung aber unterschiedlich. Im Zentrum des Streits steht der Tempel Prasat Preah Vihear (vermutlich aus dem 10. bis 12. Jahrhundert), der seit 2008 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. 

Sowohl der dem Hindu-Gott Shiva gewidmete Tempel als auch das umliegende Gebiet werden von beiden Ländern beansprucht. In der Vergangenheit kam es schon mehrfach zu Schießereien zwischen den Streitkräften der Kontrahenten, die auch Todesopfer forderten. 

Schüsse, Raketen und Kampfjets

Die Lage hatte sich am Morgen (Ortszeit) dramatisch zugespitzt. Es kam zunächst zu Schusswechseln, speziell in der Provinz Surin im Nordosten von Thailand. Während die thailändische Armee erklärte, kambodschanische Soldaten hätten das Feuer auf eine Militärbasis nahe dem bekannten Khmer-Tempel Prasat Ta Muen Thom eröffnet, warf Kambodscha dem Nachbarland vor, zuerst geschossen zu haben. 

Thailand soll als Reaktion auf die morgendlichen Gefechte seine Luftwaffe gegen kambodschanische Militärziele entlang der Grenze eingesetzt haben. Dabei wurden nach Angaben des thailändischen örtlichen Militärkommandos zwei kambodschanische regionale Militärhauptquartiere getroffen. Eine Bestätigung aus Kambodscha gab es zunächst nicht. 

Kambodscha habe hingegen Raketen des Typs BM-21 auf Wohngebiete abgefeuert, hieß es von Thailands Armee. Sie sprach von „gewalttätigen und unmenschlichen Taten der kambodschanischen Seite“. Mindestens elf Zivilisten kamen der Regierung in Bangkok zufolge auf der thailändischen Seite ums Leben. 

Auf von thailändischen Behörden verbreiteten Bildern und Videos war zu sehen, wie von einer Tankstelle dichte schwarze Rauchwolken aufstiegen. Medienberichten zufolge wurden auch ein kleiner Supermarkt und ein Krankenhaus getroffen. 

Berichten zufolge mussten sich verängstigte Menschen in der Region teilweise in Bunkern in Sicherheit bringen. Beobachter befürchten in den nächsten Tagen eine weitere Verschärfung des Konflikts.

Was hat die jüngste Eskalation ausgelöst?

Der Streit hatte sich jüngst wieder zugespitzt, nachdem es Ende Mai zu einem Schusswechsel zwischen Soldaten beider Länder gekommen war. Dabei wurde ein kambodschanischer Soldat nahe dem Kontrollpunkt Chong Bok getötet. Ende Juni kündigte Thailand an, die Grenzübergänge in sechs Provinzen zu schließen. 

Seither hatte sich das Säbelrasseln immer weiter intensiviert. Erst am Mittwoch waren mehrere thailändische Soldaten durch die Explosion von Landminen in der umstrittenen Region verletzt worden. Einer verlor der Armee zufolge ein Bein. Thailand wirft dem Nachbarland vor, die Minen erst kürzlich verlegt zu haben.

Daraufhin wurden auch die diplomatischen Beziehungen herabgestuft. Thailand rief noch am Mittwoch seinen Botschafter aus Phnom Penh zurück und wies gleichzeitig den kambodschanischen Botschafter aus. 

Thailands Botschaft in Kambodscha empfahl kurz nach Ausbruch der jetzigen Gefechte thailändischen Staatsangehörigen, die sich dauerhaft oder vorübergehend in Kambodscha aufhalten und deren Aufenthalt nicht zwingend erforderlich ist, das Land so schnell wie möglich zu verlassen – „soweit dies sicher möglich ist“.

Was sagen die Regierungen beider Länder?

Die Regierung in Bangkok sprach von einem „schweren Verstoß gegen das Völkerrecht“ und forderte Kambodscha auf, Verantwortung für die Vorfälle zu übernehmen und die Angriffe auf zivile und militärische Ziele umgehend einzustellen. Thailand sei bereit, seine „Selbstverteidigungsmaßnahmen“ zu intensivieren, sollten die Attacken nicht aufhören.

Ganz anders klingt die kambodschanische Version der Geschehnisse: „Kambodscha hat sich stets für eine friedliche Lösung von Problemen eingesetzt, doch in diesem Fall haben wir keine andere Wahl, als mit bewaffneten Streitkräften auf bewaffnete Aggressionen zu reagieren“, schrieb Ministerpräsident Hun Manet auf Facebook. Er forderte den UN-Sicherheitsrat auf, dringend eine Sitzung zu dem „unprovozierten, vorsätzlichen und gezielten Angriff auf Kambodscha“ einzuberufen.

Gibt es in der Region viele Touristen?

Das Kampfgebiet liegt fernab der bekannten Touristenpfade. Thailand-Urlauber verirren sich nur selten in die etwa 400 Kilometer von Bangkok entfernte Provinz Surin, und auch der Nordwesten Kambodschas ist kein klassisches Reiseziel. 

Zwar bemüht sich die thailändische Tourismusbranche seit Jahren, den strukturschwachen Nordosten stärker zu vermarkten. Die Region, bekannt als „Isan“, ist vor allem für ihre würzige und scharfe Küche berühmt. Touristen ziehen aber weiterhin den Norden mit berühmten Städten wie Chiang Mai und Chiang Rai vor. Das Auswärtige Amt rät schon seit Wochen vor Reisen in das Grenzgebiet ab.