Nach EM-Aus gegen Spanien: DFB-Team schwankt zwischen „viel Frust“ und „Lust auf mehr“

Der Abschiedsschmerz ist groß bei den deutschen Fußballerinnen nach einer intensiven Europameisterschaft. Während die Spielerinnen noch das Aus betrauern, blickt der DFB-Präsident nach vorn.

Bei den letzten Selfies vor dem Teamhotel rangen sich die deutschen Fußballerinnen ein gequältes Lächeln ab. In den innigen Umarmungen lag Abschiedsschmerz, bevor die Spielerinnen getrennt in Grüppchen und Kleinbussen das EM-Quartier in Zürich verließen. Doch zwischen tiefer Enttäuschung über das 0:1 im Halbfinale gegen Spanien mischte sich vor allem bei den Verantwortlichen um DFB-Präsident Bernd Neuendorf auch Vorfreude auf eine rosige Zukunft.

„Momentan ist natürlich sehr viel Frust dabei, weil wir es nicht über die Zeit bringen können, dann auch die letzten Schritte zu machen. Aber wir können sehr, sehr stolz sein“, sagte die verletzte Kapitänin Giulia Gwinn einen Tag nach dem Turnier-K.o. in der Schweiz. „Wir haben eine unfassbar gute Grundlage auch in den nächsten Jahren auf dem Platz.“ 

Gwinn: „Das macht auf jeden Fall Lust auf mehr“

Das Team um Toptalente wie die aufstrebenden Außenverteidigerinnen Franziska Kett (20) und Carlotta Wamser (21) sei noch jung, „und was vor allem hängen bleibt, ist das, was wir zu leisten imstande sind. Das macht auf jeden Fall Lust auf mehr“, meinte die 26 Jahre alte Bayern-Verteidigerin.

Auch bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf ging der Blick bereits nach vorn – 2027 steht die WM in Brasilien an, 2029 möchte der DFB die EM in Deutschland ausrichten. Mit dem Turnier in der Schweiz habe „etwas Wunderbares begonnen“, sagte der 64-Jährige. Der Zusammenhalt trage für die kommenden Spiele und darüber hinaus. Das Lächeln des höchsten deutschen Fußball-Repräsentanten spiegelte dabei nicht den Gemütszustand der Spielerinnen wider.

Berger: „Es tut mir furchtbar leid“

Vor allem an Ann-Katrin Berger nagte das EM-Aus. Ihre leisen Worte waren am Mittwochabend fast untergegangen im Höllenlärm der Spanierinnen. Die Weltmeisterinnen tanzten nach dem EM-Finaleinzug zu Paukenschlägen und im Regen um den Teambus. Derweil haderte die Torhüterin mit sich selbst: „Es tut mir furchtbar leid, dass ich in dem Moment nicht da sein konnte. Die Mannschaft hätte es furchtbar verdient gehabt, im Finale zu stehen.“ 

Berger sprach von der alles entscheidenden Szene in einem nervenaufreibenden Halbfinale im Züricher Letzigrund-Stadion: Weltfußballerin Aitana Bonmatí narrte die 34-Jährige mit einem Kunstschuss aus spitzem Winkel – das ganz späte 1:0, nach dem das deutsche Team 113 Minuten lang erbitterten Widerstand geleistet hatte.

Berger: „Bonmatí sieht die kleinste Lücke“

„Die kurze Ecke ist meine, ich hätte es besser wissen sollen. Eine brillante Spielerin wie Bonmatí sieht natürlich die kleinste Lücke“, sagte Berger, im Viertelfinal-Krimi gegen Frankreich noch die große Heldin. „Ich bin enttäuscht von mir selbst. Wir wussten, dass Spanien ein überragender Gegner ist und wir uns – auf gut deutsch – den Arsch ablaufen werden.“

Spaniens Ballkünstlerinnen greifen nun zwei Jahre nach dem WM-Triumph von Australien erstmals nach dem EM-Titel – am Sonntag (18.00 Uhr/ZDF und DAZN) geht es in Basel gegen Titelverteidiger England. Die DFB-Auswahl zeigte jedoch wieder eine Energieleistung, die für Bundestrainer Christian Wück auf dem langen Weg bis zur WM 2027 wegweisend sein könnte.

Glückwünsche und Trost von Merz und Steinmeier 

„Ihr seid wahre Vorbilder. Dafür gebührt Euch unser größter Dank und Respekt!“, lobte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der selbst unter den Zuschauern war, in einem Instagram-Beitrag.

Bundeskanzler Friedrich Merz, der bei einem Finaleinzug nach Basel kommen wollte, schrieb: „Bis zuletzt stark gekämpft, am Ende hat es leider doch nicht gereicht. Liebes DFB-Frauenteam, danke für diese großartigen Fußballmomente – wir sind stolz auf Euch!“

Wück: Keine Vorwürfe – „egal an wen“

Dennoch flossen viele Tränen auf dem Platz und in der Kabine, auch Rebecca Knaak stand mit nassen Augen vor Kameras und Mikrofonen. Vehement verteidigte die Abwehrspielerin Berger. „Ihr muss überhaupt nichts leidtun. Was sie geleistet hat in diesem Turnier, das ist außergewöhnlich und das ist der Wahnsinn gewesen.“

Wück erklärte: „Sie weiß selbst, dass die kurze Ecke immer doof ausschaut. Wir wissen aber auch, dass wir den Ball gar nicht hergeben müssen. Wir sind im sicheren Ballbesitz.“ Es werde keine Vorwürfe geben, „egal an wen“.

Der 52-Jährige hatte trotz des verpassten Endspiels und mehreren Ausfällen wie dem von Gwinn ein am Ende formidables erstes Turnier mit den Fußballerinnen hingelegt. Ein Titel wie mit der männlichen U17 bei der EM und WM blieb ihm verwehrt, jetzt ist er wie seine Spielerinnen urlaubsreif. „Wir sind jetzt komplett leer, ich bin auch leer und brauche vier, fünf Tage, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Wir dürfen trotzdem stolz sein.“

Bergers ganz persönlicher Moment im Stadion

Torhüterin Berger erlebte nach dem Abpfiff noch einen ganz persönlichen Moment, als sie ihren 92-jährigen Opa Herbert drückte. Der alte Herr wollte eigentlich nur zum Endspiel ins Stadion. „Er hat sich gestern Abend dazu entschieden, dass er doch noch kommt. Weil ich ihm gesagt habe: Opa schau her, gegen Spanien ist eigentlich schon wie ein Finale, das ist eine überragende Mannschaft“, erzählte Berger. „Es hat ein paar E-Mails mehr gebraucht als sonst, aber ich war unfassbar froh, dass er da war.“

Torhüterin schwärmt von der Mentalität ihres Teams 

Ihrem Team prophezeite die in den USA spielende Torfrau eine glänzende Zukunft: „Die Mädels haben unfassbar Talent. Die Mädels haben unfassbaren Willen, die haben Leidenschaft, die haben den Teamgeist. Die Mentalität, die die Mädels an den Tag gelegt haben, das kann uns keiner nehmen. Das wird noch viel, viel größer – auf jeden Fall.“