Presseschau: „Ein Rückzug von Brosius-Gersdorf wäre gut – aber nicht für das Land“

Die Nichtwahl ans Verfassungsgericht der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf kennt nur Verlierer: die Koalition, das Land, sie selbst. So kommentiert die Presse den Fall.

„Handelsblatt“: „Die gesellschaftliche Legitimität der Kandidatin ist beschädigt. Bischöfe, Juristen und politische Akteure von CDU und CSU äußern massive Vorbehalte – nicht nur politischer Natur. Das Bundesverfassungsgericht braucht Persönlichkeiten mit breiter Akzeptanz, nicht bloß juristische Exzellenz. Ein Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf wäre deshalb kein Scheitern, sondern ein Akt politischer Verantwortung. Es ist auch keine gute Idee von ihr, per Pressemitteilung gegen die Union Stimmung zu machen und sich abends zu ‚Markus Lanz‘ zu setzen. Was soll das bezwecken? Frau Brosius-Gersdorf sollte den Weg frei machen. Für sie wäre es zwar ein Schritt zurück – aber für das Land zwei nach vorn.“

„Junge Welt“: „Die Kampagne gegen die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf begannen Anfang Juli mit rechten Internetportalen aber auch Zeitungen wie ‚Junge Freiheit‘ und ‚Die Welt‘. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch log, Brosius-Gersdorf trete für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis Minuten vor der Geburt ein, ihre AfD-affine CDU-Kollegin Saskia Ludwig orchestrierte alles mit. Sie haben vorläufig gesiegt. Das sagt viel über den Zustand des Parlamentarismus aus: Wölfe mitten im Juli. Sie können Merz nicht stürzen, das besorgen er und Klingbeil selbst. Aber sie bereiten ihre eigene Zukunft vor.“

„Lausitzer Rundschau“: „Nicht nur Sozialdemokraten haben auf die teilweise absurden Unterstellungen hingewiesen, mit denen die angesehene Juristin Frauke Brosius-Gersdorf diskreditiert wurde. Nein, sie spricht Embryonen nicht das Lebensrecht ab und will auch keine flächendeckende Kopftucherlaubnis für Staatsdienerinnen. Das alles wusste man in der Union oder hätte es wissen können. Für die Koalition wäre es das Beste, wenn Brosius-Gersdorf von sich aus zurückzöge. Für das Land wäre das nicht gut. Es würde bedeuten, dass man mit Kampagnen honorige Persönlichkeiten zur Strecke bringen kann.“

„Brosius-Gersdorfs Wahl nachzuholen, wäre guter Anfang“

„Süddeutsche Zeitung“: „Vergangene Woche hat gezeigt, dass Kulturkampf im Deutschen Bundestag nicht nur das ist, was die AfD betreibt – sondern dass die Polarisierung der Gesellschaft, die Ideologisierung der großen Themen auch die sogenannten Parteien der Mitte zu zerreißen droht. Dass die unversöhnliche Stimmung, die im Netz herrscht, auch jeden einzelnen Abgeordneten erreicht und manche sehr konkret beeinflusst. Dass es vielleicht nicht genügt in diesen Zeiten, als Kanzler eine harmonische Regierungszeit anzuordnen. Wer ideologische Gräben verkleinern will, muss sie erkennen, muss moderieren, muss überzeugen. Die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf nachzuholen, wäre dafür ein guter Anfang.“

„Weser-Kurier“: „Ob Frauke Brosius-Gersdorf tatsächlich Richterin am Bundesverfassungsgericht wird, das steht in den Sternen. Vielleicht wäre es sogar besser, die Rechtsprofessorin aus Potsdam aus dem Rennen zu nehmen, um den Prozess der Richterauswahl wieder aus der hitzigen politischen Debatte herauszubekommen. Doch das wäre das Eingeständnis einer Niederlage. Zudem wird die SPD mit Sicherheit einen hohen politischen Preis für einen Rückzug fordern. Die Union sollte sich gut überlegen, ob sie bereit ist, diesen Preis für eine in weiten Teilen wahrheitswidrige Kampagne von Rechtsaußen zu zahlen.“

„Reutlinger General-Anzeiger“: „Die zweite Angelegenheit, die den Kanzler in der Sommerpause beschäftigen wird, ist die Personalie Jens Spahn. Friedrich Merz hat sich zum zweiten Mal schützend vor ihn gestellt – ein drittes Mal ist unwahrscheinlich. Denn mittlerweile stellen sich viele Christdemokraten die Frage: Kann Spahn nicht, oder will Spahn nicht? Das Ergebnis vom Freitag zeigt zumindest ein deutliches Vertrauensproblem innerhalb der Union. So hat sich eine große Zahl der CDU/CSU-Abgeordneten von außen beeinflussen lassen, und nicht auf die eigenen Experten im Wahlausschuss oder den Fraktions-Chef vertraut.“

„Bild“-Zeitung: Abgeordnete von CDU und CSU weigern sich, eine neue Verfassungsrichterin zu wählen, Politiker von SPD, Grünen und Linke überbieten sich in Attacken. Es ist höchste Zeit, verbal abzurüsten und durchzuatmen. Die Wahl von Verfassungsrichtern ist ein demokratischer Vorgang, Kandidaten benötigen im Bundestag eine Mehrheit – in diesem Fall sogar eine Zweidrittel-Mehrheit. Fehlt diese Zustimmung, ist das kein ‚absoluter Skandal‘, sondern ein normaler demokratischer Vorgang. Sicher, die Union hätte der SPD früher signalisieren müssen: Frauke Brosius-Gersdorf hat bei uns keine Mehrheit. Das ändert aber nichts am Recht der Abgeordneten, Richter-Kandidaten durchfallen zu lassen. So wie es z. B. die Grünen schon gemacht haben, u. a. bei Vorschlägen der CDU.“

„Politik hat am Verfassungsgericht nicht das letzte Wort“

Frankfurter Allgemeine Zeitung“: (Die Kritik an Brosius-Gersdorf )“… greift am Sinn des verfassungsrechtlichen Entscheidens vorbei. Die Neutralität der Richter ergibt sich nicht durch ihre Blässe oder Indifferenz, sondern dadurch, dass Politik im Karlsruher Diskurs nicht das letzte Wort hat. Ja, nicht einmal dem Höchste-Werte-Vokabular der Festreden kommt dort das entscheidende Gewicht zu. Es wird nachweislich gerade in Würdefragen viel mehr abgewogen, als es die reine Lehre zulassen will. Karlsruhe ist weder ein Seminar noch ein Ministerium und schon gar keine Talkshow. Das Vertrauen in den Eigensinn der Institution sollte es selbst Gegnern einzelner Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf erlauben, sich in der Frage ihrer Wahl nicht von emotionalen Kurzschlüssen leiten zu lassen.“

Quellen: DPA, „Bild„, „Süddeutsche Zeitung„, „FAZ