Alisha Lehmann ist Profifußballerin, Influencerin, Selfmade-Marke – das ist einigen Männern zu viel. Was der Hass gegen sie über unsere Gesellschaft aussagt.
Über 16 Millionen Follower. Nationalspielerin der Schweiz. Profivertrag bei Juventus Turin. Und trotzdem tippt da ein Mann unter Alisha Lehmanns Bild (sic!): „Kein Talent selbst für ne Frau unterdurchschnittlich.“
Ein so stumpfer Satz, dass man lachen möchte. Wenn er nicht so viel erzählen würde. Über die selbst ernannten Taktikexperten im Kommentarbereich, die alle Profifußballer geworden wären – wäre da nicht diese verdammte Knieverletzung gewesen. Klar.
Sexistische Sprüche gegen Fußballerinnen sind altbekannt. Aber die Kommentargülle, die sich gerade über Alisha Lehmann ergießt, stinkt doller als übliches Stammtisch-Gelaber.
Alisha Lehmann hat das Spiel verstanden – medial und auf dem Platz
Unter ihren Posts heißt es: „lieber mehr trainieren wie schminken“, „model not a footballer“, „Natürlich ist sie eine Fußballerin und Katy Perry ist ein Astronaut“. Wer ihr Profil öffnet, sieht: eine 26-jährige Frau, durchtrainiert, auf dem Rasen, im Bikini. Eine Frau, die beides ist: Sportlerin und Influencerin. 120 Millionen Likes auf TikTok, Werbedeals, Stadionjubel, Klickzahlen in der Größenordnung kleiner TV-Sender. Eine, die das Spiel verstanden hat – auf dem Platz und in den sozialen Medien.
Und das ist für einige ein Problem.
Denn Alisha Lehmann kratzt an ungeschriebenen Gesetzen. Jenen stillen Vereinbarungen, die jahrzehntelang galten: Eine Frau soll schön sein – aber sich dessen bloß nicht bewusst. Eine Frau darf ein bisschen erfolgreich sein – aber bitte nicht in einem Bereich, den Männer als ihren verstehen. Sie darf sichtbar sein – aber nur auf kleinen Bühnen, die nicht irritieren. Lehmann aber irritiert. Ihr Gesicht ist auf dem Platz makellos geschminkt, ihre sexuelle Identität fluide, ihr Auftreten selbstbewusst. Für einige Männer ist das zu viel.
Zu viel Frau.
Lehmann entscheidet sich nicht – das provoziert viele
Fußball ist immer noch eine Männerbastion. Und Lehmann betritt das Feld wie ein Popstar: als Selfmade-Marke, als Hybridfigur aus Profisportlerin und Unternehmerin. Als schillernde Frau, die sich nicht entscheidet – genau darin liegt die Provokation.
Fußballerin oder Influencerin? Lesbisch oder hetero? Natürlich oder gemacht? Lehmann passt nicht in diese Kategorien, sie vereint vermeintliche Gegensätze. Und das kratzt an einer Männlichkeit, die Sicherheit sucht im Entweder-oder, an einer Männlichkeit, die sich vor der Größe fürchtet im Sowohl-als-auch.
Was diese Männer wirklich meinen, wenn sie schreiben: „Du bist keine echte Fußballerin“, ist: Du störst auf unserem Platz.
Was sie fühlen, wenn sie sich aufregen über ihre Lippenstiftfarbe, ist: Ich verliere die Deutungshoheit.
Was sie fürchten, ist: eine Frau, die mächtiger ist als sie.
Denn mit über 16 Millionen Followern besitzt Lehmann eine Reichweite, die sogar klassische Medien überstrahlt. Reichweite, die sie sich selbst erarbeitet hat. Ihre Werbedeals machen sie unabhängig vom Kaderstatus. Hater ärgern sich über die wirtschaftliche Kraft ihres Instagramprofils, weil sie darin nur Barbie-Bastion sehen wollen, kein Business.
Sie vermarktet sich, anstatt sich zu verstecken
Für manche ein Skandal: dass eine Frau sich nicht versteckt, sondern verwertet. Dass sie aus sich selbst ein Unternehmen gemacht hat – und keinen Kompromiss.
Dabei begann alles leise. Im Dorf Tägertschi bei Bern, zwischen Zahnarztpraxis der Mutter und bolzenden Jungs. Mit acht Jahren kickt sie beim FC Konolfingen, gibt bald wieder auf – als einziges Mädchen im Team. Ein Jahr später ist sie wieder da. Dieses Mal bleibt sie. Über die Jugendnationalmannschaften führt ihr Weg 2018 nach England, zu West Ham, später Everton, Aston Villa. Heute trägt sie das Trikot von Juventus Turin.
Und ihre Social-Media-Kanäle wachsen rasant – nicht trotz, sondern wegen ihrer Offenheit. Beziehungen zu Frauen wie Ramona Bachmann oder Männern wie Douglas Luiz, Bilder am Strand, auf dem Sofa: Lehmann teilt ihr Leben, und zwar bewusst. Sie nutzt Sichtbarkeit als Kapital. Und erschüttert so ein Fußballsystem, das nicht gewohnt ist, dass eine Frau sich nimmt, was ihr zusteht – auf und neben dem Platz.
Im Zentrum einer Debatte, die größer ist als sie selbst
So hinterfragt Lehmann Männer, die schwitzen, wenn Frauen strahlen. Schönheit ist hier keine Ablenkung. Sie ist Waffe, Kapital und Marke. „Manchmal genieße ich es, wenn sie wütend sind. Dann trage ich mehr Lippenstift auf, weil sie mir gesagt haben, dass es ihnen nicht gefällt“, sagte Lehmann kürzlich. „Jetzt ist es ihre Schuld. Je mehr ihr sagt, desto mehr Lippenstift.“
Am Ende ist Alisha Lehmann vor allem eines: eine Projektionsfläche für männliche Angst vor Kontrollverlust. Und so steht sie im Zentrum einer Debatte, die größer ist als sie selbst. Lehmann verkörpert ein Gen-Z-Selbstverständnis, das alte Gegensätze nicht akzeptiert, sondern spielerisch überwinden will. Sie steht für eine junge Generation, die sich nicht mehr entscheiden möchte – nicht zwischen Sport und Sexiness, nicht zwischen Männer- und Frauenwelt, nicht zwischen Leistung und Selbstinszenierung.
Bisexuelle Frauen wie Alisha Lehmann stören die Ordnung. Sie sind nicht leicht kategorisierbar, nicht kontrollierbar. Bei dem Hass gegen sie geht es nicht um Fußball. Es geht um Macht. Um die Angst vor Frauen, die sich einfach nehmen, was ihnen lange verwehrt wurde: Sichtbarkeit, Geld, Einfluss. Alisha Lehmann ist – wie Shirin David einst in einem Song rappte – die Frau, die das Game kontrolliert. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Ambivalenz.