Von der Klinik bis zum Gerichtssaal: Opfer von Gewalt erhalten künftig schnelle Hilfe beim Beweisschutz. Die Regelung soll Betroffenen mehr Sicherheit geben – unabhängig von einer Anzeige.
Betroffene von sexualisierter oder häuslicher Gewalt sind unmittelbar nach der Tat oft nicht in der Lage, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Vergeht zu viel Zeit, gehen auch Verletzungen als Beweise verloren. Dagegen will die hessische Landesregierung nun mit einem neuen Vertrag steuern. Der sieht die sogenannte vertrauliche Spurensicherung als reguläre Kassenleistung vor.
„Viele Betroffene, die Opfer eines sexuellen Übergriffs oder von häuslicher Gewalt wurden, vertrauen sich aufgrund von Scham und Schock oft niemandem an. Hilfe wird gar nicht oder zu spät in Anspruch genommen“, sagte Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU) dazu. Deshalb dürften die Kosten einer vertraulichen Spurensicherung nicht auch noch eine Rolle spielen. Es sei für die Opfer ganz entscheidend, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten nunmehr übernehmen. „Damit kann eine medizinische Untersuchung und Beweissicherung erfolgen.“
Für Ministerin Stolz spielt zudem die Stärkung der Selbstbestimmung von betroffenen Frauen eine Rolle. Der Großteil der Betroffenen von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt sind Frauen.
Stolz unterzeichnete den Vertrag zusammen mit der Sozialministerin Heike Hofmann am Institut für Rechtsmedizin in Frankfurt. „Gemeinsam mit den gesetzlichen Kassen, der Rechtsmedizin in Gießen und Frankfurt sowie unter Mitarbeit der Hessischen Krankenhausgesellschaft ist es uns gelungen, die Leistung der vertraulichen Spurensicherung vertraglich zu regeln“, sagte die SPD-Politikerin Hofmann.
Land Hessen überbrückt für privat Versicherte
Künftig werde es in Hessen für die vertrauliche Spurensicherung zwei durch die gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Fallpauschalen geben. Eine, die Körperverletzungen abdeckt sowie eine weitere für Sexualdelikte. Für nicht beziehungsweise privat versicherte Personen werde das Land bis zur endgültigen Regelung die Finanzierung der Fallpauschalen übernehmen.
Zur vertraulichen Spurensicherung gehören die Dokumentation von Verletzungen sowie die Sicherung von Tatspuren am Körper. Alle Befunde werden demnach im jeweils zuständigen Institut für Rechtsmedizin aufbewahrt und können bei einer Anzeige durch die Betroffenen angefordert und in ein Strafverfahren eingebracht werden. So erhalten die Betroffenen die Zeit, die nach einer solchen Tat häufig nötig ist, um zu entscheiden, ob sie die Ermittlungsbehörden einschalten möchten. Gleichzeitig haben sie aber Gewissheit, dass die Spuren gerichtsfest gesichert wurden.
Schnelligkeit ist bei Spurensicherung wichtig
Das Wichtigste ist für Marcel Verhoff, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt, das Schnelle Sichern von Beweisen. „Bei Verletzungen verblassen irgendwann die Hämatome. Wenn es um Vergewaltigung geht, dann halten sich die Spermien in der Scheide realistisch maximal zwölf Stunden“, sagte er. Danach würde es immer schwerer, die Spuren zu sichern. Deswegen sei es gerade nach sexueller Gewalt sehr wichtig, möglichst schnell zu untersuchen.
Zudem sei die anonyme vertrauliche Spurensicherung sehr hilfreich für Opfer im Umgang mit den Tätern, sagte Verhoff. Häusliche Gewalt wiederhole sich oft, steigere sich meist sogar. Die Betroffenen seien meist finanziell und emotional abhängig von ihren Peinigern und mit einer Anzeige würden sie sich ihrer eigenen Lebensgrundlage entziehen. Mit der Gewissheit Spuren gesichert zu haben, könnten sie mitunter ihre Selbstbestimmung stärken.
Und auch Geld könne gespart werden, so der Rechtsmediziner. Einige Verfahren würden ohne Urteil enden – oftmals, weil Beweise von Vergewaltigungen oder anderen Übergriffen nicht gesichert wurden. Das solle sich nun durch die Kostenübernahme und mögliche weitere Verfügbarkeiten der Spurensicherung an Kliniken ändern.
Bereits einige Kliniken im Modell eingebunden
Wer betroffen ist, kann sich in Hessen an verschiedenen Kliniken wenden. Im Landkreis Fulda ist die „Schutzambulanz Fulda“ zuständig. Überregional tätig ist zudem das „Forensische Konsil Gießen“ mit Untersuchungsräumen in Kassel. Zwei hessische Krankenhäuser versorgen laut Landesregierung nach einem eigenen Konzept: das Klinikum Kassel und im Kreis Bergstraße das Kreiskrankenhaus Bergstraße. An vielen Standorten in Hessen ist demnach das Modell „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ vertreten. Eine Auswahl:
Klinikum Darmstadt / FrauenklinikKlinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtKrankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen, Abteilung für Gynäkologie und GeburtshilfeKlinikum Fulda – FrauenklinikSt. Vincenz Krankenhaus LimburgKlinikum HanauKreiskrankenhaus FrankenbergUKGM Uniklinik Marburg / Klinik für GynäkologieHochtaunus-Kliniken Bad HomburgSana Klinikum OffenbachHochwaldkrankenhaus Bad Nauheim