Hasskriminalität: Der Staat kämpft gegen Hass. Wie hält er’s mit der Meinungsfreiheit?

Immer energischer gehen Innenminister und Staatsanwälte gegen Bürger vor, die Hass im Netz verbreiten. Kritiker sehen die Meinungsfreiheit beeinträchtigt.

Vergangene Woche herrschte im Rechtsaußen-Milieu regelrecht Champagnerlaune. Der Verleger und Verschwörungstheoretiker Jürgen Elsäßer konnte den Großen Saal des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig mit geschwollener Brust verlassen, er hatte nach zweitägiger Verhandlung über das von der frühere Bundesinnenministerin Nancy Faser verhängte Verbot seines Vereins obsiegt, auch sein Magazin „Compact“ darf weiterhin erscheinen und seine hetzerischen und kruden Inhalte verbreiten. Elsäßers anwesende Gefolgschaft begleitete den Richterspruch mit Bravo-Rufen, seine Ehefrau und Mistreiterin wurde mit einem Blumenstrauß bedacht. 

„Das ist die wichtigste Entscheidung für die Pressefreiheit seit Gründung der Bundesrepublik“, sprach Elsäßer pathetisch in die TV-Kameras und rief sein Blatt zum neuen „Sturmgeschütz der Demokratie“ aus. In den sozialen Medien war kurz darauf ein junger Mann aus Elsäßers Youtube-Truppe zu sehen, wie er die sichtlich genervte Faeser über den Gerichtsflur verfolgt und ihr hämisch sein Micro ins Gesicht hält: „Was haben Sie eigentlich gegen die Pressefreiheit?“

Wieviel Hassrede hält diese Demokratie aus?

Es ist nur schwer auszuhalten. Die „Tagesschau“ titelte auf ihrer Seite mit einem Zitat aus der Urteilsbegründung der Richter: „Pressefreiheit auch für Feinde der Freiheit“. Was für eine Schmach, welch ein Debakel.

Keine 24 Stunden später sollte sich die „wehrhafte Demokratie“ mit allen Mitteln der Staatsgewalt zurückmelden. An die 65 Durchsuchungsbeschlüsse wurden im ganzen Bundesgebiet von der Polizei durchgesetzt, Bürger aus ihren Betten geholt, Beweise beschlagnahmt. Die Szenen erinnern nicht zufällig an jene vor dem Hause Elsäßers im brandenburgischen Falkensee vor fast einem Jahr, so der heute 68-Jährige im schwarzen Bademantel aus seinem Haus geholt worden war. Diesmal ging es um keine Berühmtheiten der extremistischen Szene, sondern vornehmlich um Leute, die sich der Verbreitung von Hass im Netz schuldig gemacht hatten, zuweilen mit dem Verdacht auf Volksverhetzung. Derlei Aktionstage des Bundeskriminalamtes finden auch deshalb konzertiert und medienwirksam statt, um die Schlagkraft des Staates öffentlich zu demonstrieren. „Bei den Postings handelte es sich um Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, Volksverhetzung, gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ schreibt das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg. 

Die „wehrhafte Demokratie“ schlägt  zurück

Vom Innenminister des Landes Herbert Reul war zu hören, viele Menschen hätten wohl „den Unterschied zwischen Hass und Meinung verlernt. Digitale Brandstifter dürfen sich nicht hinter ihren Handys oder Computern verstecken.“  Zu zwei Dritteln sind die Betroffenen dem rechten bis rechtsextremen Lager zuzurechnen, mitunter auch der Reichsbürger- und Neonazi-Szene. Verfolgt wird das Posten verfassungsfeindlicher Symbole, Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Den zweiten großen Bereich macht der Islamismus, Judenhass, Symbole verbotener Terrororganisationen wie IS und Hamas aus. Aber auch Beleidigungen gegen eine Politikerin der AfD, die wohl als „Nazi-Schlampe“ beschimpft worden war, sollen geahndet worden sein.

Dennoch ist die Kritik an dem Einsatz groß und reicht weit über die betroffenen Milieus hinaus, auch konservative und libertäre Kommentatoren verfolgen die Razzien mit Skepsis. „Wer mit 170 Einsätzen bundesweit nicht gegen kriminelle Clans oder Terroristen, sondern gegen die freie Meinungsäußerung vorgeht, macht sich nicht lächerlich, er handelt offen totalitär“, schreibt etwa die frühere CDU-Angeordnete und neurechte Publizistin Vera Lengsfeld. 

Kritik an der „Verhältnismäßigkeit“

Der Hamburger Rechtsanwalt und Bestsellerautor Joachim Steinhöfel kommentierte auf der Plattform X: „Die dunkle Seite der Macht schlägt wieder zu.“ Er bestreite nicht, so sagte er gegenüber dem stern im persönlichen Gespräch, dass gegen den „Schmutz und Dreck und Straftaten im Netz“ vorgegangen werden müsse, wenn sie rechtswidrig seien. Steinhöfel bemängelt aber die Prioritätensetzung. „In manchen Stadtvierteln Berlins ist das Gewaltmonopol des Staates nur noch teilweise gewährleistet“ man gewinne eher den Eindruck, Neukölln sei ein Außenposten der Hamas. Im Hamburger Stadtpark würden Polizisten von einem wütenden Mob Polizisten zusammengeprügelt. „Die Razzia ist ein Instrument für Schwerverbrecher und nicht für die Verfolgung alkoholisierter Nazis, die wirre Parolen posten.“

Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel kritisiert den „Aktionstag gegen Hasskriminalität“
© Horst Galuschka

Natürlich sei auch Elsäßers Postille, „ein Schmutzblatt, aber es bewegt sich im Rahmen der Meinungsfreiheit.“ Er kritisiert Faesers Vorstoß, als „Frontalangriff der Bundesregierung auf die Pressefreiheit. „Das, was hier geschehen ist, war die Umsetzung dessen, was Nancy Faeser den Bürgern zuvor angedroht habe, dass wer den Staat verhöhne, es mit einem starken Staat zu tun bekommen müsse.  Ein Satz der umstrittenen SPD-Politikerin, die der sich außerhalb der Grenzen unserer Verfassung bewege. Seit Jahrzehnten bestätige das Bundesverfassungsgericht, dass die Verhöhnung des Staates Teil der legitimen Machtkritik in einem freiheitlichen Rechtsstaat sei. 

Zahlen der Hasskriminalität explodieren

Dass der Staat gegen Hasskriminalität aktiv werden muss, betont Steinhöfel, stehe außer Frage. Der so genannte „Aktionstag gegen Hasskriminalität im Internet“ fand bereits zum zwölften Mal statt, „und sicher nicht zufällig in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Elsäßer-Prozess“, glaubt er. Laut BKA wurden im Vorjahr 10.730 Straftaten im Rahmen von Hasskriminalität erfasst, was ein Anstieg von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr wäre.

Dass nicht alle vom Staat geahndeten Fälle von Hassrede so eindeutig im extremistischen Bereich zu verorten sind, zeigte zuletzt der Fall des Rentners Steffen Niehoff aus dem fränkischen Landkreis Hassfurt. Der 64-Jährige hatte im Vorjahr aufgrund eines Postings auf der Plattform X kurz nach sechs Uhr morgens in Pyjama von der Polizei bekommen. In einer Youtube-Dokumentation eines schwäbischen Filmemachers bekommt man Einblick in die Skurrilität des Vorgangs. „Ich mach die Tür auf, auf einmal hält mir ein Mann einen Ausweis unter die Nase: Kriminalpolizei Schweinfurt, Hausdurchsuchung“, erinnert sich Niehoff an den Vorgang. Der Vorwurf: Er habe den damaligen Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mittels eines Memes beleidigt, auf dem Logo und Schriftzug einer Kosmetikmarke zu sehen waren, bloß statt „Schwarzkopf Professional“ war da nun „Schwachkopf Professional“ zu lesen.  Hassrede Rentner Trailer

Der Fall Niehoff ist aus mehrerlei Hinsicht interessant, er erzählt von der Dünnhäutigkeit eines Spitzenpolitikers, aber auch davon, wie ein vorgeblich einfacher Bürger nicht nur in das Visier der Justiz gerät, sondern auch sogleich von politisch rechten Kräften instrumentalisiert wird. Er sei schon in den Zeiten der Pandemie „nicht Mainstream“ gewesen, heißt es in der Youtube-Doku. Wer sich nur aus öffentlichen Medien informiere, sagt Niehoff, „denkt jetzt ich sei ein Drecks-Nazi“. Man lernt im Film Niehoff und seine freiwillige Arbeit im Wertstoffhof der Gemeinde kennen, seine Ehefrau und ihre Leidenschaft fürs Häkeln, seine von Trisomie 21 betroffene Tochter lobt des Papas Pizzabäckertalent. Ein sympathischer Querkopf also, der in den sozialen Medien etwas zu frech war, möchte man meinen. 

Verurteilter antwortet mit Hohn

Der Prozess, in dem sich Niehoff vom früheren AfD-Politiker Marcus Pretzell, dem Ehemann der ehemaligen Parteivorsitzenden Frauke Petry, anwaltschaftlich vertreten ließ, geht dennoch zu seinen Ungunsten aus. Das Amtsgericht Haßfurt sprach den 64-Jährigen nicht aufgrund des inkriminierten Memes schuldig, die Ermittlungen aufgrund des Vorwurfs der Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens waren sogar eingestellt worden. Bei der Hausdurchsuchung hatte man auf dem Tablet des Mannes andere Vergehen festgestellt, darunter das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Was hat Niehoff verbrochen? Unter anderem postete er die Montage eines „Spiegel“-Titels mit der bayerischen Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze beim Hitlergruß, darunter stand die Zeile „Die grüne Machtergreifung“. Zudem habe er die Fotografie eines SS- oder SA-Mannes mit einem Schild mit der Aufschrift „Deutsche kauft nicht bei Juden“ hochgeladen, darunter der Kommentar „Wahre Demokraten, hatten wir schon einmal!“ Dies sei, so ist dem Dokumentarfilm zu entnehmen, im Kontext eines Aufrufs veröffentlicht worden, keine Produkte von „Müller Milch“ zu erwerben, deren Besitzer als AfD-nah bekannt ist. Um Adolf Hitler oder ein Hakenkreuz straffrei verwenden zu dürfen, begründete der Richter, müsste auf Anhieb ein kritischer Gebrauch erkennbar sein, was er bei der Angeklagten nicht erkennen könne.

Niehoff ging zwar mit einer Geldstrafe nach Hause, aber als Berühmtheit. Seine Verurteilung wirkt sich wie Elsäßers Freispruch als Konjunkturprogramm für die rechte Szene aus. Die öffentliche Aufmerksamkeit habe ihm enormen Zulauf beschert, sagt Niehoff. Von 900 ist die Zahl auf inzwischen 9757 Follower angestiegen. Sogar ein Merchandise-Artikel ist entstanden, auf einem T-Shirt mit dem „Schwachkopf“-Logo fehlt jeglicher Hinweis auf Habeck, stattdessen steht darunter zu lesen: „Ab jetzt weiß jeder, wer gemeint ist!“

Staantanwälte rüsten mit eigenen Stellen auf

Leitender Oberstaatsanwalt Markus Hartmann kennt das Dilemma. Er leitet die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime des Landes Nordrhein-Westfalen, die als eine der engagiertesten im Kampf gegen Hasskriminalität gilt. Seine Arbeit umfasst sensible Bereiche wie den Kampf gegen Kinderpornographie, Hacker-Angriffe und Infiltration, Hasskriminalität ist jedoch einer der wesentlichen Bereiche. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 19 lokale Staatsanwaltschaften, die Abteilungen für politisch motivierte Kriminalität unterhalten, die Zentralstelle kümmert sich um „hervorgehobene Fälle im Internet, insbesondere dann, wenn sie demokratiegefährdenden Charakter haben“, so Hartmann. Doch wie lässt sich dies feststellen und inwiefern könnten stumpfsinnige Memes eines Rentners mit ein paar Hundert Followern die Verfassung und Demokratie auch bloß anschrammen? 

„Sofern rassistische oder antisemitische oder anderweitig volksverhetzende Inhalte im Internet geteilt werden und einem größeren Publikum zugänglich gemacht, , in großem Ausmaß geteilt und gelikt werden, kann das tendenziell demokratiegefährdend sein und begründet unsere Zuständigkeit“, erklärt Hartmann. Dass die rote Linie zwischen Meinungsfreiheit und Hassrede unbewusst überschritten werde, käme äußerst selten vor. „Bei den meisten Fällen, die wir als Straftat identifizieren, ist die Intention sehr eindeutig.“ 

Ministerpräsident Hendrik Wüst und Justizminister Peter Biesenbach beim Besuch der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalens mit Oberstaatsanwalt Markus Hartmann.
© IMAGO/Sepp Spiegl

Die Zentralstelle geht zudem projektbezogen vor,  Hartmann ist „einigermaßen stolz“, wie er sagt, dass die großen Medienhäuser, darunter der Konzern RTL, zu dem auch der stern gehört, sich daran beteiligen, Hasskriminalität aus den Kommentarspalten zur Anzeige zu bringen. Motto: „Verfolgen statt nur löschen.“ Gleichermaßen gut würde inzwischen die Kooperation mit den Fußballvereinen funktionieren, die sich aktiv an der Verfolgung rassistischer Pöbler im Internet beteiligen.

Zensur findet nicht statt, sagt der Staatsanwalt

„Wir betreiben als Strafverfolgungsbehörden keinerlei Zensur, das ist mir wichtig. Wir verfolgen Straftaten, nicht Meinungen“, betont der Leitende Oberstaatsanwalt. Ein großer Teil der gemeldeten Kommentare würde zu keiner Anklage führen. „Wir machen es uns nicht leicht, oft sitzen mehrere Beamte an der Einschätzung, ob etwas satirisch oder ironisch gemeint ist, und somit legitimer Teil einer politischen Auseinandersetzung.“ Postings müssen außerdem einer konkreten Person zugeordnet werden, Deshalb würden auch die Hausdurchsuchungen nötig sein, um festzustellen, ob sich ein bestimmter Post von einem bestimmten Gerät verfasst wurde.“ Ob dieser dann auch strafbar ist, würden letztendlich Gerichte entscheiden. 

Laut Umfragen steigt in der Bevölkerung der Eindruck, unbequeme Meinungen nicht mehr frei äußern zu können. 44 Prozent der Befragten gaben 2023 in einer Umfrage an, dass sie mit ihren Ansichten vorsichtig sein müssten. „Um wirkliche Meinungsfreiheit zu haben, muss man auch klar definieren, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit sind“, sagt Hartmann.  „Die Grundrechte Dritter können nicht komplett ignoriert werden.“ Ein aufkommendes Gefühl an Einschränkungen, sei dem keinesfalls unterzuordnen. 

Familie Niehoff lässt sich für AfD-Propaganda einspannen
© X.com

Verleger Elsäßer und der verurteilte Rentner aus Hassfurth haben inzwischen eines gemein. Sie sind nach ihren Urteilsverkündungen vor die blaue Pressewand der AfD getreten. Parteichefin Alice Weidel posiert sogar höchstpersönlich mit der Familie Niehoff. Der Grund ist offensichtlich. Sobald sich die demokratischen Parteien im Bundestag dazu durchringen, ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu beantragen, würden all diese Fälle wie ein harmloses Vorgeplänkel wirken.