Bundeshaushalt: Deutschland drohen amerikanische Verhältnisse

Die hohen Investitionen für Rüstung und Infrastruktur sind richtig, auch die Finanzierung über Schulden. Verweigert die neue Regierung aber weiter eine Gegenfinanzierung, gerät Deutschland in eine gefährliche Schieflage.

Vor ein paar Monaten gab es einen Satz, der in Talkshows immer dann fiel, wenn die Stimmung besonders bedrückt und die Lage geradezu aussichtslos erschien – jemand aber sehr klug und weitsichtig erscheinen wollte. Sinngemäß lautete der Satz: Nicht die anstehende Bundestagswahl sei ein Anlass zur Sorge, sondern die Wahl in vier Jahren, 2029 nämlich. Schlaue Kommentatoren bemühten den Gedanken gerne, aber auch Wahlkämpfer wie Friedrich Merz unterstrichen damit die Dringlichkeit ihrer Anliegen. Botschaft: Wir haben nur noch diese eine Chance, wenn wir die versemmeln, heißt die nächste Kanzlerin Alice Weidel. 

Zugegeben, mir war der Satz immer etwas zu apokalyptisch. Wer weiß schon, wie die Welt in vier Jahren aussieht, was Donald Trump bis dahin alles anrichtet oder Wladimir Putin, oder beide zusammen. Auch kann niemand sagen, wie sich die Wirtschaft über vier Jahre entwickelt, ob nun endlich ein großer Turbo für die Investitionen kommt oder ob uns noch mal ein unsichtbares Virus heimsucht. Vor allem aber weiß niemand, ob sich nicht die AfD und ihre Führung selbst entzaubert oder wenigstens einen Teil ihres Zaubers verliert – alles möglich, nichts ist ausgeschlossen. Es gilt das elfte Gebot: Du sollst nicht extrapolieren. 

In dieser Woche musste ich an die Talkshow-Weisheit von der Wahl in vier Jahren noch einmal denken, denn in dieser Woche kamen Hybris und Verhängnis der neuen Regierung in einer einzigen Zahl zusammen: 850 Milliarden. So viele neue Schulden wollen Union und SPD bis 2029 zusätzlich aufnehmen, um einerseits die Bundeswehr so aufzurüsten, dass Putin sie ernst nimmt, und andererseits die marode deutsche Infrastruktur endlich zu modernisieren.

850 Milliarden, das entspricht etwa einem Drittel der gesamten deutschen Staatsverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden, angesammelt in etwa 80 Jahren. Und nun noch einmal ein Drittel obendrauf in nur fünf Jahren – das ist wohl das größte schuldenfinanzierte Ausgabenprogramm in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 

Ohne Strukturreformen wird das Geld versickern

Um es klar zu sagen: Sowohl die Aufrüstung der Bundeswehr als auch die Investitionen in Straßen, Brücken, Schienen, Schulen und Krankenhäuser sind dringend nötig, notfalls auch über höhere Schulden – als regelmäßige Leser dieser Kolumne habe ich Sie oft mit dieser lange unpopulären Position in Deutschland behelligt. Die gewaltige Summe, die nun innerhalb weniger Jahre ausgegeben werden soll, ist das Resultat jahrzehntelangen Kleinmuts, falscher Prioritäten und sträflicher Nachlässigkeit. In den Zahlen auch enthalten sind übrigens die geplanten Steuerentlastungen für Unternehmen, die besseren Abschreibungsmöglichkeiten für private Investitionen und die geplante Senkung der Körperschaftsteuer – deren Kosten von knapp 46 Milliarden Euro in Form von Einnahmeausfällen wird der Bund auch weitgehend allein tragen. 

Die Hybris in dem Vorhaben beginnt dort, wo Finanzminister Lars Klingbeil und Kanzler Friedrich Merz den baldigen leuchtenden Aufschwung beschwören. Ja, die Konjunktur hellt sich auf, aber das macht noch keinen Boom. Natürlich wird das viele Geld allein nicht reichen, um aus einem besseren Technischen Hilfswerk eine kampfbereite Armee zu machen. Und natürlich werden die vielen Milliarden allein auch nicht genügen, um Straßen und Schienen zu modernisieren. Dafür braucht es mehr als nur Geld, nämlich eine öffentliche Verwaltung, die der Flut öffentlicher Ausschreibungen und Gebote auch gewachsen ist, und Unternehmen, die bereit und fähig sind, all die Aufträge abzuarbeiten. Ohne neue Strukturen und Abläufe, ohne einen Rückbau der Bürokratie und ohne Reformen etwa auf dem Arbeitsmarkt werden große Teile der 850 Milliarden einfach versickern oder schlicht gar nicht ausgegeben werden. In beiden Disziplinen hat Deutschland viel Erfahrung. 

Gefährlicher als die Hybris ist jedoch das Verhängnis, das in der Finanzplanung der neuen Regierung steckt. Denn in der Rechnung klafft eine gewaltige Lücke: Selbst wenn das Paket wie erhofft die lahme deutsche Wirtschaft anwerfen und für deutlich mehr Wachstum sorgen wird, wird dieses Wachstum niemals ausreichen, um die Finanzierungskosten für die ganzen neuen Schulden auszugleichen. Von heute 31 auf knapp 62 Milliarden Euro sollen allein die jährlichen Zinsausgaben des Bundes bis zum Jahr 2029 steigen, eine glatte Verdopplung innerhalb von nur fünf Jahren. Und das bei gleichzeitigen Steuererleichterungen für Unternehmen, die zwar nötig sind, auf der anderen Seite aber die Einnahmebasis des Bundes dauerhaft schmälern. Die Rechnung, die die Regierung dagegen aufmacht, lautet: Wenn die Wirtschaft wieder wächst, steigen die Steuereinnahmen und das deckt dann die höheren Zinsausgaben. 

Die Faustformel dazu ist einfach: Die Steuerquote in Deutschland beträgt gut 23 Prozent, die deutsche Wirtschaftsleistung BIP etwa 4300 Milliarden Euro. Steigt das BIP um ein Prozent, kommen dort etwa 43 Milliarden dazu – und der Staat kann mit etwa 10 Milliarden zusätzlichen Steuern rechnen. Davon kommt allerdings nicht mal die Hälfte beim Bund an, weil Länder und Kommunen einen immer größeren Teil der Steuereinnahmen erhalten – auch eine Folge des jüngsten Deals rund um den „Investitionsbooster“.

Die Selbstfinanzierungseffekte gibt es nicht

Man erkennt leicht, dass die Rechnung nicht aufgehen wird: Um die zusätzlichen Zinslasten des Bundes zu finanzieren, müsste der Bund entweder eine viel höhere Steuerquote durchsetzen – was politisch kaum machbar sein dürfte und zudem die Wirtschaft abwürgen würde. Oder er müsste die Wirtschaft ohne weitere Ausgaben noch stärker stimulieren – auch das kein leichtes Unterfangen. So bleibt im Finanzplan der Regierung eine ziemlich riskante Lücke. 

Es gibt ein eindrucksvolles, aber inzwischen auch berüchtigtes Vorbild für eine solche Politik: die USA. Seit 2014 haben demokratische und republikanische Regierungen die Verschuldung der USA von etwa 14 auf weit mehr als 30 Billionen Dollar getrieben – stets in der Hoffnung, das stärkere Wachstum werde irgendwann in Form höherer Steuereinnahmen die höheren Ausgaben und niedrigeren Einnahmen ausgleichen. Tatsächlich wuchsen die USA mit dieser Politik in dieser Zeit deutlich stärker als alle anderen Industrienationen. Die erhofften Selbstfinanzierungseffekte aber blieben aus. Diese Politik ging nur deshalb so lange gut, weil die Zinsen niedrig waren und das Land mit ausländischem Kapital quasi überschwemmt wurde. Beides ändert sich gerade respektive kehrt sich sogar um, wie wir bei Capital jüngst in einer Titelgeschichte analysiert haben. 

Für Deutschland gilt: Vier oder fünf Jahre mag eine solche Politik verkraftbar sein – mit einer Schuldenquote von 63 Prozent in Relation zum BIP steht das Land so solide da wie kein anderer großer Industriestaat der Erde. Die neue Regierung von Merz und Klingbeil hat also Spielraum, um sich aus Stagnation und Defätismus freiboxen zu können. Dafür spricht auch der deutliche Rückgang der Anleiherenditen in den vergangenen Wochen – das Vertrauen der Finanzmärkte in Deutschlands Stärken ist groß. Aber bei einer Verdoppelung der Zinslast innerhalb von fünf Jahren wird dieser Spielraum schneller erschöpft sein, als wir uns das jetzt im beginnenden Aufschwung vorstellen können. 

Es wäre ehrlich, zu sagen: Die Aufrüstung der Bundeswehr und der Unterhalt der neuen Kasernen und Waffensysteme wird 2029 nicht beendet sein, das Ausgabenniveau allein für Verteidigung wird noch viele weitere Jahre bei drei, vier oder fünf Prozent der Wirtschaftsleistung bleiben. Dauerhaft sind solche Ausgaben über immer neue Schulden nicht finanzierbar – es braucht einen klaren Plan zur Gegenfinanzierung. Dafür gibt es nur zwei Möglichkeiten: Ausgabenkürzungen an anderer Stelle oder strukturelle Mehreinnahmen durch höhere Steuern und Abgaben. Wahrscheinlich braucht es einen Mix aus beidem. Und dieser Plan sollte schon vor 2029 im Gesetzblatt stehen, das ist eine Aufgabe dieser Regierung aus Union und SPD. 

Andernfalls könnte die nächste Wahl unkalkulierbar werden. Schwer vorstellbar, dass die internationalen Finanzmärkte dieses Risiko nicht schon bald erkennen werden.