Offiziell haben sich die Chefs der 32 Nato-Staaten in Den Haag getroffen, um höhere Verteidigungsausgaben zu vereinbaren – aber vor allem ging es darum, Donald Trump zu gefallen.
Wie erklärt man am besten, was die Nato ist? Vielleicht so: Es ist ein Club, in dem der Aufwand, der betrieben wird, stets gewaltig ist. Und der Nutzen nicht immer sofort sichtbar. Das gilt nicht nur für die Verteidigung des Bündnisgebietes, für Rüstungsprojekte und Manöver. Es gilt auch für gemeinsame Gipfel-Treffen.
Tausende Menschen haben Mehrzweckhallen aufgebaut, Sperranlagen errichtet, Posten bezogen und eine halbe Stadt lahmgelegt, für ein Treffen, das so kurz ausfällt, wie keines zuvor: Es reicht gerade so für ein gemeinsames Abendessen, eine zweieinhalbstündige Arbeitssitzung und einen Abschlusstext, der kaum eine A4-Seite füllt.
Rückbesinnung auf den Zweck der Nato
Aufwand und Ertrag stehen bei der Nato oft in ungünstigem Missverhältnis. Warum? Weil auch in Verteidigungsfragen der aus der Corona-Pandemie bekannte Satz gilt: „There is no glory in prevention.“ Für die gute Sache ist darum nichts zu teuer, zu aufwendig, zu umständlich – oder gar zu peinlich.
Die gute Sache, das ist in Zeiten wachsender russischer Bedrohung die Rückbesinnung auf den ursprünglichen Zweck der Nato: Beistand im Falle eines feindlichen Angriffs, wie Bundeskanzler Friedrich Merz am Ende des Treffens betonte. Es ist in diesem Sinne auch eine gute Sache, dass die 32 Mitgliedsländer sich in Den Haag dazu verpflichten, bis 2035 ihre Verteidigungsausgaben auf mindestens fünf Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung anzuheben, 3,5 Prozent für Panzer, Kampfjets, Munition und weitere 1,5 Prozent für „verteidigungsbedingte Infrastruktur“. Es ist ein Schritt, den Merz auch angesichts der Milliardensummen und -schulden, die dahinter stehen, zu Recht „historisch“ nennt. Es ist nicht zuletzt darum eine gute Sache, weil sie US-Präsident Donald Trump bei bester Laune hält. Und in diesem Fall hängt beides eng miteinander zusammen.
Trump ist bis zum Schluss geblieben
Die gute Nachricht darum zuerst: Donald Trump ist gekommen, bis zum Schluss geblieben, was – wie die Welt seit dem G7-Gipfel vom vergangenen Wochenende weiß – nicht mehr als selbstverständlich gilt. Und er hat, zumindest bis zur Fertigstellung dieser Zeilen, keine wüsten Beleidigungen hinterlassen. Sogar Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez, der das Fünf-Prozent-Ziel für sein Land ablehnt, kam ungeschoren davon.
Kein Krawall? Richtig, im Gegenteil. Trump hatte brav mit Königs gespeist, in königlichen Gemächern genächtigt, im Konferenzsaal brav neben Nato-Generalsekretär Mark Rutte Platz genommen und dessen Huldigungen mit halb geschlossenen Augen entgegengenommen. Die Vereinigten Staaten hätten, so lobte Rutte, stets die größte Last im Bündnis getragen. Auf Zweidrittel der Nato-Ausgaben taxierte Trump den eigenen Beitrag, was natürlich übertrieben war, nur ist die Hälfte zwar realistisch, aber eben auch noch deutlich zu viel. Aber, versprach Rutte: „Das wird sich heute ändern.“ Und es sei vor allem seiner, Donald Trumps „Leadership“ zu verdanken, dass es so komme, lobhudelte Rutte weiter.
Ruttes unterwürfige SMS
Trump kannte das alles längst, nicht nur, weil es ihm jeder dauernd sagte. Er hatte am Vortag eine SMS vom Nato-Generalsekretär erhalten, die mit dem Wort „unterwürfig“ wohlwollend umschrieben ist. Trump, textete Rutte, habe geschafft, was noch „KEIN amerikanischer Präsident“ vor ihm erreicht habe. Es sei ein, sein großer Erfolg und so weiter und so schleim.
In Sachen Unterwürfigkeit haben sich alle Nato-Partner mächtig ins Zeug gelegt. Alles drehte sich um Trump: Was er will, was er sagt, wie er es tut, was er wohl meint – und wie lange es gilt. „Es ist ganz schwierig, Trump zu interpretieren“, hieß es in Regierungskreisen. Viel mehr als das bleibe eben gerade nicht, hieß es, um dann doch ein wenig selbstkritisch anzumerken: „Wir sind alle ein bisschen zu sehr gefangen in der Trump-Fixierung.“
„Nicht um irgendwem einen Gefallen zu tun“
Dabei würde man die historischen Schritte leicht übersehen, die dieser im Vorfeld so verpönte Gipfel bringe. Bundeskanzler Friedrich Merz versuchte, der ewigen Trump-Fixierung schon mit seinem Eingangsstatement einen eigenen Ton entgegenzusetzen. Die heutigen Entscheidungen treffe man „nicht, um irgendwem einen Gefallen zu tun“, sagt Merz, sondern „aus eigener Erkenntnis, aus eigener Überzeugung“. Die Nato, vor allem ihr europäischer Teil, müsse in den kommenden Jahren mehr tun, „um die eigene Verteidigungsfähigkeit zu sichern.“ Es seien Investitionen in die eigene Sicherheit, Freiheit und letztlich den eigenen Wohlstand. Die Botschaft an alle potenziellen Feinde müsse unmissverständlich sein, so Merz: „Don’t pick up a fight with Nato“ – Wagt es nicht, die Nato anzugreifen.
Für einige europäische Nato-Staaten dürfte sich das Fünf-Prozent-Ziel noch als äußerst herausfordernd erweisen. Spanien ist da keineswegs allein. Die Debatte darüber könnte Merz schon morgen in Brüssel beim Europäischen Rat einholen, denn manche sehen die Lösung der aufkommenden Geldsorgen in Eurobonds, gemeinsamen Schulden also – ein Vorhaben, das Deutschland stets abgelehnt hat. Für Merz beginne mit dem heutigen Tag auch erst die Neuaufstellung der Nato, es dürfe keineswegs weitergehen wie bisher, nur mit mehr Geld. Alle Prozesse und Projekte müssten auf den Prüfstand.
Früher Bremser, heute Streber
„Whatever it takes“, hat der Bundeskanzler kürzlich gesagt. Was sich natürlich leichter sagte, nachdem er den alten Bundestag dazu gebracht hatte, die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben zu lockern – jeder Euro oberhalb von einem Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung darf nun per Kredit finanziert werden, ohne dass dies auf die nationale Schuldenquote angerechnet würde.
Er habe sich in den vergangenen Tagen darum öfter gefragt, berichtete Merz, wo wir stünden, „wenn wir diese Entscheidung nicht getroffen hätten“, was er heute hier hätte sagen müssen. Er sei sich sicher: „Der Tag heute wäre ziemlich sicher anders verlaufen.“ Er wäre ziemlich sicher im Streit geendet. Stattdessen hatte Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil schon am Montag in Berlin verlauten lassen, dass Deutschland das 3,5-Prozent-Ziel sogar früher erreichen wolle als gefordert, bereits 2029, nicht erst 2035.
Früher Bremser, heute Streber – und dazwischen lang nur eine Grundgesetzänderung und ein Wortbruch. Er habe „viel Kredit“ für diese Entscheidung aufgenommen, gab Merz in Den Haag zu.
Insofern wäre auch die Ermahnung des US-Präsidenten so unnötig wie Ruttes Schleim-SMS. Als „mindestens nicht hilfreich“ wurde sie im Kreise der E3 bewertet. Im Trio aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien hieß es: Selbst Schuld, dass Trump sie umgehend veröffentlicht hat.
Merz selbst hatte zumindest kurz die Gelegenheit, mit dem US-Präsidenten zu sprechen. Beide nutzen die wenigen Minuten zwischen dem Familienfoto und der Arbeitssitzung zum Austausch. Merz habe deutlich gemacht, berichtete er danach, dass es Trumps Engagement in Nahost nun auch in Bezug auf Russland brauche. Druck, härtere Sanktionen, nur das würde Putin verstehen, nur das würde ihn an den Verhandlungstisch zwingen.
Und Trump? Er sei der größte Verbündete Europas, sagte der US-Präsident in der internen Arbeitssitzung. Darauf könne man sich verlassen, zumindest für die nächsten vier Jahre.