Die Bundesregierung streicht ein großes Wahlversprechen: Die Stromsteuer wird für Privatkunden nicht gesenkt. Das kann erhebliche Folgen für die Energiewende haben.
Wer im Ruhrgebiet früher allzu überheblich auftrat und wenig Empathie für das einfache Volk zeigte, dem wurde schnell der verächtliche Titel „Graf Koks von der Gasanstalt“ verliehen. Diese Auszeichnung hätte sich Finanzminister Lars Klingbeil nun redlich verdient. Denn er hat die Menschen, die ihm vertraut haben, an der Nase herumgeführt.
Im Wahlkampf hatte er – im Einklang mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz – vollmundig versprochen: Wir senken die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß. So steht es auch als „Sofortmaßnahme“ im Koalitionsvertrag, ohne Wenn und Aber, Finanzierungsvorbehalt hin oder her. Mindestens fünf Cent sollte die Kilowattstunde am Ende für alle billiger werden, auch für die gebeutelten Privathaushalte. Dieses Versprechen hat der SPD-Mann nun kassiert – mit einer kühlen Beiläufigkeit. Nur Industrie sowie Land- und Forstwirtschaft wird künftig der Nachlass gewährt. Gegenüber Privatleuten (und anderen Gewerben) bleibt der Fiskus hart.
Der Staat hält beim Stromverkauf beide Hände auf
Die Entscheidung des Finanzchefs ist in zweierlei Hinsicht unheilvoll, weil sie falsche Signale sendet. Zum einen nährt sie den Unmut der Menschen, die Regierung greife ihnen immer tiefer in die Tasche. Tatsächlich profitiert der Staat schon jetzt über die Maßen beim Energieverkauf: Beschaffung und Vertrieb machen bei Strom nur gut 40 Prozent des Preises aus, der Rest sind Steuern, Abgaben und Netzentgelte. Die Koalition wiegelt ab. Der Bund werde künftig einen deutlich höheren Anteil an den Kosten des Netzausbaus übernehmen, was die Netzentgelte für Verbraucher und damit den Stromtarif senke. Wann und wie viel ist aber noch völlig offen. Nur eins ist sicher: Mit den fünf Cent Entlastung wird es nichts.
Folge zwei der Entscheidung ist noch gravierender. Denn sie bremst den Klimaschutz aus. Zum einen gerät der gerade einsetzende zarte Aufschwung beim Verkauf von E-Autos, der so wichtig ist für die deutsche Automobilindustrie, in Gefahr, weil die sehnlichst erwartete Entspannung bei den Ladetarifen an öffentlichen Säulen nun ausfällt. Die hohen Dieselsubventionen werden dagegen nicht angetastet. So bleibt der „Sprit“ für E-Autofahrer ohne private Wallbox weiterhin nicht selten teurer als der Diesel für Verbrennerfreunde. Fatal, denn etwa ein Viertel der deutschen Treibhausgasemissionen sind dem Verkehr zuzuordnen. Wie soll da die Wende gelingen?
Die Stromsteuer sinkt nicht, dafür die Lust auf eine Wärmepumpe
Zum anderen wird vielen Deutschen die neu entfachte Lust auf strombetriebene Wärmepumpen wieder ziemlich vergehen, wenn gleichzeitig Gas durch Streichung der Gasspeicherumlage womöglich billiger wird. Wie soll Deutschland so voranschreiten auf seinem Weg zur Klimaneutralität? Allein die vielen Gas- und Ölheizungen in den Wohnhäusern verursachen rund zehn Prozent der gesamten deutschen CO₂‑Emissionen. Über fünf Millionen Geräte müssten dringend ausgetauscht werden.
Die zuständige Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche kommentierte den Stromsteuer-Bluff beim Tag der Industrie in Berlin mit den beiläufigen Worten, hier treffe Koalitionsvertrag auf finanzielle Möglichkeit und Wirklichkeit. Dafür darf sie sich den Titel „Gräfin Koks von der Gasanstalt“ abholen. Auf sie trifft er noch besser zu. Menschen in ihrem Umfeld mutmaßen ohnehin, Reiche habe sich innerlich noch nicht wirklich aus ihren alten Jobs verabschiedet: als Gas-Managerin von Eon und Hauptgeschäftsführerin beim Verband kommunaler Unternehmen, die Tausende Kilometer Gasnetze betreiben.
Die Bundesregierung sollte neu nachdenken
Mit den strengen EU-Klimazielen hadert die Energieministerin bekanntermaßen ohnehin. Weitere Überraschungen drohen. Kein guter Tag für das Mutterland der Energiewende. Die Koalition sollte ihre Entscheidung noch mal überdenken.