Nach Solinger Terroranschlag: NRW rüstet Sicherheitsbehörden auf

Wie können Terroranschläge wie der von Solingen verhindert werden? Der NRW-Verfassungsschutz und die Polizei erhalten neue Möglichkeiten. Aber auch an anderen Stellen sind Veränderungen vorgesehen.

Nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Terroranschlag von Solingen erhalten die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen mehr Befugnisse und auch Personal. Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte an, dass der Entwurf des neuen Verfassungsschutzgesetzes noch im Laufe dieser Woche in den NRW-Landtag eingebracht werde. Der NRW-Verfassungsschutz erhalte damit die Legitimation, in sozialen Netzwerken oder Kommunikationsplattformen verdeckt Informationen zu erheben. 

Der NRW-Verfassungsschutz bekomme auch neue Auskunftsrechte, um Geldflüsse und Reisebewegungen nachvollziehen zu können. Außerdem gehe es darum, verschlüsselte Kommunikation mitlesen zu können, wo es rechtlich erlaubt und notwendig sei. „Extremisten kommunizieren über verschlüsselte Messenger“, betonte Reul und fügte hinzu: „Da waren wir bisher blind.“ 

Neue Software 

Anfang kommenden Jahres soll eine neue Software bereitstehen, mit der Messenger-Dienste verfolgt werden können. Das ist den Angaben zufolge nur unter strengen Auflagen möglich. Für den NRW-Verfassungsschutz wird diese Möglichkeit mit dem neuen Gesetz geschaffen. Die Polizei durfte dies zwar schon nutzen. Künftig soll sie diese Möglichkeit aber häufiger nutzen können. 

KI soll Polizeiarbeit stärker unterstützen

Um Künstliche Intelligenz (KI) stärker in der Polizeiarbeit nutzen zu können, soll im Juli die nötige Technik im Großraum Köln aufgestellt werden. Dabei handelt es sich um ein erstes Modul für ein mobiles Rechenzentrum, teilte das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) mit. Eigene Hardware ist wichtig, damit die Polizei auch bei vertraulichen Ermittlungsdaten auf die KI zurückgreifen kann. Bisher wird KI schon beim Kampf gegen Kinderpornografie genutzt, um beim Sortieren der riesigen Datenmengen zu helfen. 

„Brutstätte für Extremisten“

Künftig soll KI auch bei der Terrorismusbekämpfung zum Einsatz kommen. „Social Media ist eine Brutstätte für Extremisten. Auch Anschläge werden heute dort geplant und vorbereitet“, erklärte Reul. Es gelte so früh wie möglich zu stören. Auch Trends in den sozialen Medien ließen sich mit KI besser mitverfolgen. KI helfe außerdem mit Übersetzungen in Echtzeit, wenn die Beamten auf Texte in Fremdsprachen oder seltenen Dialekten treffen. Dolmetscher seien nicht immer verfügbar und kosteten auch viel Geld. 

Staatsschutz digital auf Streife

Ab Herbst sind rund 100 Beamtinnen und Beamte „digital auf Streife“, wie Reul erklärte. Sie werden in den großen Polizeipräsidien Bielefeld, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln und Münster zumeist im Staatsschutz tätig sein. Dabei geht es unter anderem um politisch motivierte Straftaten. Einige von ihnen arbeiten im Landeskriminalamt. Weitere 15 Stellen sind für die „Cyber-Truppe“ der NRW-Polizei vorgesehen. Diese Ermittler verfolgen verdeckt die digitalen Spuren von Terroristen und Schwerkriminellen. Das Auswahlverfahren läuft. 

Die Polizei führt auch landesweit eine neue Datei ein, in der islamistische Prediger und Influencer erfasst werden. Nach Angaben des Innenministers soll das der Polizei helfen, bessere Erkenntnis zu erlangen und Gefahren abzuwehren. 

Personal und Kosten

Das Maßnahmenpaket der Landesregierung, das als Reaktion auf den Anschlag von Solingen im September beschlossen wurde, enthält weitere Punkte: So geht es darum, Beratungsangebote anzubieten, Radikalisierungen vorzubeugen, Asylverfahren zu verkürzen und Rückführungsprozesse zu zentralisieren. An den Verwaltungsgerichten Köln, Gelsenkirchen und Minden entstanden drei neue Kammern für Asylrecht. Auch der Bau einer zweiten Abschiebehaftanstalt in Mönchengladbach ist Teil des Maßnahmenpakets. 

Für das Maßnahmenpaket stehen 95,5 Millionen Euro bereit. Insgesamt wurden laut Zwischenbilanz 228 neue Stellen in verschiedenen Bereichen eingerichtet. 

Kritik der Opposition

Die FDP-Landtagsfraktion wirft der schwarz-grünen Landesregierung eine „PR-Show“ vor. Zahlreiche Vorhaben – von digitaler Polizeipräsenz bis hin zur neuen KI-Infrastruktur – griffen erst im weiteren Verlauf des Jahres 2025 oder 2026. Angesichts realer Bedrohungen durch Extremismus, Clankriminalität und illegale Migration sei das deutlich zu langsam.

Die SPD-Landtagsfraktion kritisierte den Ministerpräsidenten: „Hendrik Wüst hat viel Sicherheit versprochen, aber bisher wenig Sicherheit geliefert.“ Bei der Umsetzung der angekündigten Maßnahmen habe sich nicht besonders viel getan. Zahlreiche Stellen seien unbesetzt.

Strafprozess

Bei dem mutmaßlich islamistischen Terroranschlag in Solingen sind am 23. August 2024 drei Menschen getötet und zahlreiche weitere Menschen vor einer Bühne des Stadtfestes während eines Konzerts verletzt worden. Derzeit läuft der Prozess gegen den angeklagten Syrer Issa al H., der den Messerangriff gestanden hat. Zum Vorwurf der IS-Mitgliedschaft äußerte er sich bisher nicht. 

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord vor. Er soll IS-Terrorist sein und vor der Tat dem sogenannten Islamischen Staat in Videos die Treue geschworen haben. Einen Tag später reklamierte der IS den Anschlag für sich – das erste Bekenntnis dieser Art seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016.