Der Blackout in Spanien war vermeidbar, erklärt die dortige Regierung. Schuld sei weder die Solarenergie, noch Cyberattacken. Aber das ist noch nicht das letzte Wort.
Mittags um halb eins fällt 33 Sekunden der Strom auf der gesamten iberischen Halbinsel aus: Züge und Fahrstühle bleiben stecken, Ampeln und Internet fallen aus. Der Blackout am 28. April schockierte Spanier und Portugiesen – und zeigte auch dem Rest Europas anschaulich, wie abhängig wir vom Strom sind. Es dauerte bis zum frühen Morgen, bis das Land wieder komplett Strom hatte.
Natürlich stellte sich schnell die Frage: Wer oder was war schuld am Stromausfall? In Madrid stellte nun gestern die zuständige Vizepremierministerin und Umweltministerin Sara Aagesen sieben Wochen nach dem Unglück den offiziellen Bericht der Regierung vor.
Zu viel Solarstrom? Oder gar eine Cyberattacke?
Eine viel vorgebrachte Vermutung war: Das Stromnetz sei an diesem sonnenreichen Tag nicht in der Lage gewesen, die Mengen an Solarstrom aufzunehmen. Eine andere Vermutung: Ein Cyberangriff sei schuld. Beides ist aus Sicht der spanischen Regierung aber falsch. Offenbar war das Unglück auch vermeidbar. Kein einzelner Fehler sei Ursache gewesen, erklärte die Umweltministerin Sara Aagesen (parteilos), sondern eine Kette von Versäumnissen und Fehlern, die zum Blackout geführt hätten.
Um zu verstehen, wie es zum Stromausfall kam, muss man verstehen, wie das Stromnetz funktioniert. Es fließt ja nicht einfach eine konstante Menge Strom durchs Netz. Morgens wird geduscht, Kaffee gekocht, irgendwann springen die Klimaanlagen an. In den Betrieben wird morgens die Produktion hochgefahren, mittags dann Pause gemacht. Auf der anderen Seite schwankt die Stromproduktion, weil die Sonne mal mehr scheint, mal weniger. Dasselbe gilt für den Wind. Andere Kraftwerke, wie Kernkraftwerke, produzieren tendenziell immer eine konstante Menge, egal, wie viel abgenommen wird.
Zum Ausgleich gibt es bestimmte Kraftwerke, die die ganze Zeit hoch- und runtergeregelt werden, um Nachfrage und Angebot an Strom im Gleichgewicht zu halten. Diese Kraftwerke können in ihren Generatoren auch in bestimmten Grenzen Strom aufnehmen, um erhöhte Spannungen im Netz auszugleichen. Dabei drehen sich die Schwungmassen in den Generatoren aller Kraftwerke im Gleichklang mit 50 Umdrehungen pro Sekunde (50 Hertz). So stabilisieren sie das Stromnetz.
Nur neun Kraftwerke sollen das Netz sichern
Am Tag des Blackouts standen zehn solcher Kraftwerke mit Synchron-Generatoren in Spanien zur Verfügung, um das Netz stabil zu halten. Das waren besonders wenige, kritisiert der Regierungsbericht. Die bis dahin niedrigste Zahl des Jahres. Dazu stellte sich schon am Vorabend heraus, dass eines der zehn Kraftwerke nicht funktionierte. Es wurde aber – zunächst – kein Ersatz angefordert.
Ab kurz nach zwölf Uhr habe man dann ungewöhnlich langsame Schwankungen im spanischen Stromnetz festgestellt. Die entstehen, wenn die Generatoren der Kraftwerke nicht mehr im Gleichklang schwingen. Dies habe man ausgeglichen, unter anderem durch eine Drosselung der Verbindung zum Stromnetz nach Frankreich.
Um 12.16 und 12.19 Uhr traten weitere solcher niederfrequenten Schwankungen auf. Diesmal waren sie in ganz Europa zu spüren. Wieder führte der spanische Netzbetreiber Gegenmaßnahmen aus.
Ein Problem gelöst, eins verschärft
Das Problem: Die Maßnahmen erhöhen jeweils die Spannung im Stromnetz, schaffen also neue Probleme. Überspannungen waren es auch, die schließlich den Blackout provozierten. Nach der zweiten Gegenmaßnahme ging dem Netzbetreiber auf, dass es eng werden könnte. Man forderte das Anfahren eines weiteren Kraftwerkes zur Stabilisierung des Netzes an. Das brauchte eineinhalb Stunden, um bereitzustehen.
Doch dafür war es schon zu spät. Denn bloß eine Viertelstunde später, um 12.32 Uhr, stieg die Spannung infolge der vorigen Ereignisse plötzlich schnell und anhaltend an. Ist die Spannung im Stromnetz deutlich zu hoch, führt das dazu, dass sich die normalen Stromerzeuger zum Schutz automatisch abschalten. Und genau das passierte: Innerhalb von 21 Sekunden gingen reihenweise Erzeugungsanlagen in Granada, Badajoz und anderen Provinzen automatisch vom Netz. Das löste eine Kettenreaktion auf der iberischen Halbinsel aus, zusätzlich trennte sich das europäische Netz zum eigenen Schutz von Spanien ab. Nach nur 12 weiteren Sekunden fiel der Strom auf der gesamten iberischen Halbinsel aus.
Netzbetreiber trage Schuld am Blackout
Der Regierungsbericht erhebt jetzt in ihrem Bericht schwere Vorwürfe gegen den Netzbetreiber Red Eléctrica und diverse Kraftwerksbetreiber. „Es fehlten Kapazitäten zur Spannungsregelung, entweder weil sie nicht ausreichend programmiert waren oder weil die programmierten Kapazitäten nicht den Vorschriften entsprachen. Oder eine Kombination aus beidem“, sagte Ökologie-Ministerin Sara Aagesen am Dienstag auf RTVE, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Spaniens. Um sich dann selbst von Schuld freizusprechen. „Was wir jedoch mit Sicherheit sagen können, ist, dass es nicht an einem Mangel im Land lag, denn es gab genügend Kraftwerke, um die Nachfrage zu decken.“
Verantwortlich sei die schlechte Planung und Programmierung bei Kraftwerks- und Netzbetreibern. Manche Anlagen schalteten sich ab, obwohl die Spannung in ihrer Region noch im zulässigen Bereich war. Besonders schlimm: Einige der Kraftwerke, die das Netz eigentlich stabilisieren sollten, verhielten sich nicht den Vorgaben entsprechend. Sie erzeugten zusätzlich Spannung, anstatt sie aus dem Netz aufzunehmen – und beschleunigten somit den Zusammenbruch.
Auch der spanische Verband der Elektrizitätswerke Aelec kritisierte den spanischen Netzbetreiber Red Eléctrica. „Man entschied sich dafür, die Spannung mit einer begrenzten Synchronkapazität und einer unausgewogenen geografischen Verteilung zu steuern, was das System in eine prekäre Lage brachte“, erklärte der Verband laut RTVE. Sprich: Hätten mehr Kraftwerke bereitgestanden, die besser übers Land verteilt gewesen wären, hätte der Blackout vermieden werden können.
Noch nicht das letzte Wort
Doch noch ist unklar, ob damit schon das letzte Wort zum Ablauf des Blackouts gesprochen ist. Denn noch hat sich der europäische Verband der Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E nicht Stellung bezogen. Der hat den Auftrag, die Sicherheit des europäischen Netzes zu überwachen, und dessen Untersuchung des Blackouts vom 28. April läuft noch. In der Kommission sitzen auch drei Vertreter der deutschen Bundesnetzagentur.
Erst vor drei Wochen beschwerten sich die Spitzen von ENTSO-E bei der Ministerin Aagesen, dass sie noch immer nicht alle angeforderten Daten über den Stromausfall von den spanischen Energieunternehmen bekommen hätten. Insbesondere nicht von kleineren Netzbetreibern und von Kraftwerksbetreibern – und baten um Amtshilfe. Die Bundesnetzagentur wollte sich auf Nachfrage des stern nicht zu den laufenden Ermittlungen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber äußern.
Neue Technik gegen den Blackout
Derweil hat die spanische Regierung die Analyse hinter sich gelassen und will bereits Maßnahmen auf den Weg bringen, ihr Stromnetz sicherer zu machen: mehr Mittel für die Kontrolle von Überspannungen, aber auch eine bessere Überwachung der Kraftwerke und Netzbetreiber. Zusätzlich will man die Verbindung mit Überlandleitungen zum Rest von Europa deutlich vergrößern. Denn anders als in Spanien waren die Schwankungen der Netzfrequenz im Rest Europas leicht abzufedern – einfach, weil das Netz viel größer und leistungsfähiger ist.
Schließlich will Spanien in moderne Technik investieren, damit auch die Erneuerbaren Energien das Netz stabil halten können. Gemeint ist der Einsatz von Batterien zum Zwischenspeichern von Spannungsspitzen und die sogenannten „netzdienliche Wechselrichter“ an Batterien und Solarzellen. Denn bislang verhalten sich die Wechselrichter, mit denen etwa Solarzellen ans Netz angeschlossen werden, rein passiv. Die neue Variante könnte, wie ein Kraftwerksgenerator, das Netz stabil halten.
Quellen: Spanisches Umweltministerium, RTVE, ENTSO-E, SMC